
© JUBAL BATTISTI
Die Schönheit indigenen Wissens: Tanzpremieren von Sergiu Matis und Ixchel Mendoza Hernández im Radialsystem
In Kooperation mit der Tanzfabrik Berlin: „Earth Works“ von Sergiu Matis und „The Infinite Gesture“ von Ixchel Mendoza Hernández.
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Wenn Chihiro Araki die Bühne des Radialsystems betritt. wirkt sie ein wenig verloren. Auch die anderen Tänzer suchen erstmal nach Orientierung - und nach Erdung. Sergiu Matis’ Tanzstück „Earth Works“ ist eine Expedition in innere Landschaften. Inspiriert sind diese Erkundungen von Texten, die sich dem Nature Writing zuordnen lassen. Matis hat sieben Autoren und Autorinnen aus aller Welt gebeten, über Orte zu schreiben, die ihnen besonders am Herzen liegen. Entstanden sind Berichte über bedrohte und zerstörte Landschaften.
Auch Matis selbst hat einen Text über eine besondere Schmetterlingsart beigesteuert. Der Choreograf hat sich in den letzten Jahren immer wieder mit dem Thema Umweltzerstörung beschäftigt und dafür unter anderem „Blazing Worlds“, einen Science-Fiction-Roman von Margaret Cavendish aus dem Jahr 1966 herangezogem. Dass Matis für „Earth Works“ nun zeitgenössische Texte von überwiegend indigenen Autoren verwendet, ist nur konsequent. Die australische Aborigines-Dichterin Jeanine Leane Stamm der Wiradjuri berichtet vom Fluss Murrumbidgee, in den durch den Ackerbau viele Schadstoffe eingeleitet werden.
„Um zu verstehen, müssen wir manchmal zum Anfang zurückkehren“, schreibt die Maori-Autorin Hana Pera Aoake. Die Tänzerin Lisa Densem trägt ihren Text, der die Weltsicht der Indigenen in Neuseeland erläutert, konzentriert vor. Für die Performer ist es eine Herausforderung, das in den Texten enthaltene Wissen zugleich mit ihren Körpern zu interpretieren. Oft sind es einzelne Wörter, die hier Aktionen auslösen, zu Figuren und Konstellationen führen.
Die Choreografie basiert auf einer organischen Bewegungssprache. Es sind schlingernde Muster zu sehen, die Arme ranken sich gen Himmel, und immer wieder sinken die Performer zu Boden. Es geht weniger um formale Präzision als um ein Erspüren und Wahrnehmen von Kräften. Manchmal sieht man ein freies Fließen von Energie, dann wieder ein reflektierendes Innehalten. Wenn von einem See berichtet wird, in dem sich Giftschlamm abgelagert hat, verdüstert sich das Geschehen.
Spirituelles Bewusstsein
Die Tänzer bewegen sich in „Earth Works“ zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Manche der Texte, in denen eine spirituelle Beziehung zur Natur zum Ausdruck kommt, muten selbst ein Publikum mit ökologischem Bewusstsein fremd an. Doch „Earth Works“ ruft dazu auf, nicht tatenlos dabei zuzusehen, wie unser Planet zerstört wird.
Die Premiere fand im Rahmen der Kooperation zwischen der Tanzfabrik Berlin und dem Radialsystem statt. Schon seit 2019 arbeiten die beiden Institutionen zusammen, um die Präsentationsbedingungen von Tanzschaffenden zu verbessern. Die zweite Uraufführung an diesem Abend war eine intime Arbeit von Ixchel Mendoza Hernández. In „The Infinite Gesture“ sehnen sich die drei Tänzer nach körperlicher Nähe und Verbundenheit. Die Chorerografin hat das Trio gemeinsam mit den Tänzern Sebastian Elias Kurth und Emeka Ene geschaffen.
Die Performer lassen ihre Hände über die Körper der anderen gleiten. Nach einem Dreier zwischen einer Frau und zwei Männern sieht das nicht aus. Die sensiblen Berührungen werden ruppiger, sobald zwei Leuchtstäbe ins Spiel kommen. Das Trio ist nicht so sehr eine Studie über soziales Miteinander und übergriffiges Verhalten, als vielmehr der Versuch, die „Unendlichkeit der Anderen“ feiern. Wenn am Ende die Körper verschmelzen, wird das Stück zur schmuseweichen Kuschelparty.
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