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Kultur: Die Sphinx im Zeichen des Saturn

Zum 70. Geburtstag der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag

Von Gregor Dotzauer

Über ihre Rolle hat sich schon die halbe Welt den Kopf zerbrochen. „Unseren Erasmus“ hat Carlos Fuentes sie genannt. Für Herbert Mitgang in der „New York Times“ war Susan Sontag dagegen nur „ein literarisches Pinup-Girl“. Den „Paganini des kritischen Essays“ hat James Sloan Allen in ihr erkannt, Irving Howe allerdings nur „eine Publizistin, die aus Omas Flicken wundervolle Quilts herstellen kann“. Auch ob sie „eine neue Coco Chanel der Künste“ (Mary Ellman) oder eher „die dunkle Dame der amerikanischen Literatur“ (Norman Podhoretz) ist, die „Königin der Camp-Ästhetik“ (Edward Field) oder „die Sibylle von Manhattan“ (Boyd Tonkin), „die tapfere Minerva eines echten neuen Underground oder jemand, der den letzten Schrei des französischen Modernismus, des New Yorker East Village Pop und andere Arten höheren Unernstes glattzüngig abkupfert“ (Theodore Solotaroff) – über all das streiten Bewunderer, Gegner und Neider ihrer Spitzenposition im geistigen Leben der USA.

Man muss, um ein Bild ihrer kontroversen Person zu gewinnen, höchstens noch ein paar andere Zitate aus der Liste im Anhang der ersten ihr gewidmeten (unautorisierten) Biografie von Carl Rollyson und Lisa Paddock ergänzen („Susan Sontag – The Making of an Icon“, W.W. Norton, New York/London 2000). Eines aus dem Mund der intellektuellen Generalistin Mary McCarthy, die in Sontag ihr Spiegelbild („the imitation me“) sah. Eines ihres Sohnes, des Journalisten David Rieff („der neugierigste Mensch unserer Zeit“). Und eines von ihr selbst, in dem sie sich zur „Passionara der Linken“ erklärte.

Was immer an den Zuschreibungen stimmen mag, die zur Erschaffung der Ikone geführt haben: Susan Sontag hat die Kraft, sie zu provozieren, mit einem Hang zur Selbststilisierung, der, gerade weil er ängstlich darauf bedacht ist, Privates aus ihren Texten und Gesprächen so weit wie möglich auszuklammern, der Deutung ihres sphinxhaften Habitus und ihres charismatischen Auftretens ideal korrespondiert.

Ihr Einfluss geht bis weit in die sechziger Jahre zurück, als ihr Essay „Gegen Interpretation“ mit dem berühmten Schlusssatz „Statt einer Hermeneutik brauchen wir eine Erotik der Kunst“ kanonisch wurde oder ihre „Anmerkungen zu ,Camp’“ mit ihrer Vorform einer Trash-Ästhetik. Auch in Deutschland machten diese beiden 1968 in dem Band „Kunst und Antikunst“ veröffentlichten Texte Karriere. Doch schon damals galt ihr Interesse weniger dem Feld, auf dem sie gefragt war, als demjenigen, das sie von Jugend an erobern wollte: der erzählenden Literatur. Das früheste Zeugnis dieses Ehrgeizes ist der Roman „Der Wohltäter“, lange bevor sie Ende der siebziger Jahre mit ihrem Aufsatz „Im Zeichen des Saturn“ über Walter Benjamin ans Ende ihres essayistischen Weges gekommen zu sein meinte, nachdem ihr der Stoff gegen ihren Willen zu einem hochmelancholischen Selbstporträt geraten war.

Lateinische Klarheit

Susan Sontag hat mehrfach beschrieben, welche Befreiung das Erzählen für sie war, mit welcher Selbstverständlichkeit ein Wort das andere gab, während sie in ihren Essays die schmerzvolle Hürde des ersten Satzes kaum mehr überwinden konnte. Doch so erfolgreich „Der Liebhaber des Vulkans“ oder zuletzt „In Amerika“ waren: Sontag fühlt sich in ihren Romanen zu etwas berufen, das nicht ihr Metier ist. Ihre Bücher sind theoretisch so schwer infiziert, dass sie oft nur im Reflektieren über das Erzählen vom Fleck kommen: mühselig den vermeintlichen Anforderungen des 20. Jahrhunderts angepasste Metafiktionen, die obendrein unter einer stilistischen Sorglosigkeit leiden, die sich die Essayistin in ihrer lateinischen Klarheit nie durchgehen lassen würde.

Man muss nur „Krankheit als Metapher“ lesen, ihr populärstes, später um einen Aids-Teil erweitertes Buch – und insofern ihr persönlichstes, als es Folge einer Krebserkrankung Mitte der siebziger Jahre war, die sie gegen jede Wahrscheinlichkeit überlebte, bis sie vor vier Jahren ein zweites Mal bedroht wurde. Die Zurückweisung von Krankheit als Strafe und Ausdruck einer bestimmten Persönlichkeit ist die polemische Seite des Textes. Ihm steht eine philologische gegenüber, die etwa den literarischen Reiz der Tuberkulose mit ihren enthusiasmierenden Fieberschüben gegenüber dem grauen Zerstörungswerk des Krebs bedenkt.

Kunst und Politik waren für sie, die Linkslibertäre, Bürgerrechtlerin und Anwältin eines freien Sarajevo, nie Widersprüche. Sie hatte aber auch nie Schwierigkeiten, die Arbeit von rechten Figuren wie Hans-Jürgen Syberberg oder Leni Riefenstahl zu verteidigen. Es war eine Freiheit, die sie als Amerikanerin, die nicht erst in ihrer Pariser Zeit europäisches Gedankengut assimiliert hatte, zur transatlantischen Vermittlerin in beiden Richtungen prädestinierte.

Im März erscheint in ihrem Verlag Farrar, Straus & Giroux ihre Untersuchung „Regarding the Pain of Others“. Sie will ähnlich umwälzende Einsichten vermitteln wie einst ihr Essay „Über Fotografie“. „Im Angesicht fremden Leids“denkt nach über die visuelle Repräsentation von Gewalt in der Kunst und in den Medien, angefangen bei Goyas Radierungen über „Die Schrecken des Krieges“ über Fotografien aus dem amerikanischen Bürgerkrieg bis zu den Schlachthausbildern aus Sierra Leone, Ruanda und Bosnien. Abstumpfung oder Anregung zur Nachahmung: Die Alternative wird für sie nicht zählen. Erst im Widerschein der Kunst wird für Susan Sontag die Welt erfahrbar.

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