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Inga Busch im neuesten Pollesch-Stück „Puntila und das Riesending in Mitte“.

© Luna Zscharnt

Amateurtheater wäre ein Kompliment: Die Volksbühne unter René Pollesch – eine Bastion der Einfallslosigkeit

Seit Beginn seiner Intendanz im September spielt Pollesch gefühlt immer dasselbe Stück – passend zur Pandemie. Dauerthema ist dabei: vor allem er selbst.

Das Beste an den inflationären Pollesch-Produktionen sind die Titel. „Puntila und das Riesending in Mitte“, das klingt fett. Brechts Säuferheld und – ja was nur? Ist die Volksbühne selbst das Riesending?

Seit René Pollesch am Rosa-Luxemburg-Platz den Intendanten gibt, laufen dort fast ausschließlich Pollesch-Stücke. Also seit September. Er macht das in dem neuen Aufguss völlig schmerzfrei zum Thema: „Du Schatz, wir sind im falschen Stück, das haben wir doch schon gesehen. – Ja, das haben wir schon gesehen. – Außerdem stehen wir schon wieder vorm Theater, wir sind doch gerade erst reingegangen.“

Man nennt das „selbstreferentiell“, was besser klingt als Fehlstart oder: Denen fällt nun gar nichts mehr ein. Alles dreht sich um Pollesch und seine Family. Die vier Akteure – Franz Beil, Inga Busch, Christine Groß, Astrid Meyerfeld – hopsen in Strampelanzügen herum, auf denen ihre Namen stehen (Kostüme: Tabea Braun), und das Bühnenbild von Nina von Mechow stellt die Volksbühne dar, von außen betrachtet. Nachher tritt noch ein Chor hinzu, wie in den besten Pollesch-Zeiten. Aber dahin sind die Schärfe, der Witz, das sichere Gespür für die Absurdität des Bühnengeschehens. Im Lauf der anderthalb Stunden ist dann auch von „Amateurtheater“ die Rede. Doch wäre es eine Kränkung von Amateurtheatertruppen, würde man diese Darbietung der Pollesch-People als Amateurtheater schmähen. Es ist schlicht – nichts. Fahriges Gerede, angelesener Theoriekram, schlapper Zitatensport.

[„Herr Puntila und das Riesending in Mitte“ wieder am 14., 21. und 28. November und im Dezember.]

Puntila und Brecht sind falsche Fährten, es wird auch mal über Lehrstücke gesprochen – und irgendwas stimmt auch nicht mit „My Fair Lady“. Kathrin Angerer ist ein Thema, weil sie in dem anderen Pollesch-Stück („Die Gewehre der Frau Angerer“) die Hauptrolle spielt, sich selbst. Fahnen mit englischen Stücktiteln werden herabgelassen am Volksbühnenbild und heruntergerissen, die nächsten Monate im Schnelldurchlauf ... Pollesch arbeitet sich müde an Brecht ab und an der Volksbühnengeschichte, die er mal mitgeschrieben hat.

Die Volksbühne verschwindet in einer Implosion

Jetzt wirkt er wie ein nicht mehr ganz so junger Junior, der die Firma, die er endlich übernehmen durfte, locker an die Wand fährt. Wer hätte gedacht, dass sich so schnell ein Dercon-Gefühl einstellen würde – dass es so nicht geht, dass etwas grundsätzlich nicht stimmt und nicht stimmen kann? Pollesch-Abende verströmen Antimaterie. Man fühlt sich wie in einem Loch, das Energie absaugt. Begonnen hat es, bevor er die Volksbühne übernahm, als er am Deutschen Theater und anderswo auch schon eine halbgare Premiere nach der anderen abliefern zu müssen glaubte. Die Pandemie erledigt den Rest.

Pollesch betont das Prozessuale. Nochso ein Wort. An der Volksbühne werde eben anders gearbeitet, jenseits der alten Theaterhierarchien, die tatsächlich viel Leid und Schwund verursacht haben. Im Lehrstück, schreibt Pollesch, habe es noch „diese nihilistische Sehnsucht nach sinnloser Autorität, Disziplin und Glauben“ gegeben. Sind das die Alternativen? Selbstherrliche, rücksichtslose Regisseure – oder der nette Herbergsvaterkumpel, in dem ein obereitler, machtverliebter Übungsleiter steckt?

Es fällt auf, wie wohl sich die Schauspielerinnen und Schauspieler bei Pollesch auf der Bühne fühlen und wahrscheinlich ebenso auf den Proben. Jedenfalls wollen sie unbedingt diesen Eindruck vermitteln: Hier läuft es super angenehm, wir schmoren bei sehr geringer Hitze gern im eigenen Saft.

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Geht es um etwas, das nicht mit dem privaten Theaterreflektieren zu tun hat? Sie quasseln über „linksalternative Wohnformen“ wie bei „der Köpi und der Liebig“, man spürt die Grundsympahtie dafür – und „rechtsalternativ, das ist ... eben so Vater, Mutter, Kind, weißte? Das ist die Rechtsalternative. Ikea.“ Das wäre stand up comedy, wäre es nicht die große alte Volksbühne, die nichts verzeiht.

Gab es nicht vor ein paar Jahren einen Kulturbürgerkrieg um das Haus? Besetzung durch Sponti-Kollektive, die dem Castorf-Nachfolger das Leben noch schwerer machen, Shitstorms, Hassattacken, Debatten ohne Ende. Und dann auch noch ein MeToo-Fall, schnell abgeräumt. Die Volksbühne galt als wichtigstes Theater der Stadt, des ganzen Landes, lange her, aber deshalb nicht unwahr geworden. Das Riesending verschwindet in einer Implosion, wie man sie nur an diesem Haus erleben kann.

Pollesch scheint sich wie der Gefangene einer Gespensterwelt im Kreis zu drehen. Ein Verdienst ist ihm dabei nicht abzusprechen. Er hat die Volksbühne beruhigt. Die Kämpfe sind vorbei. So sehr, dass man von der Volksbühne bald nichts mehr hört. Die nächste Premiere ist angekündigt für den 4. Dezember, „The Future“, ein neues Stück von Constanza Macras. Na dann!

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