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Hochalpin. Das Plakat „Der Weiße Rest“ aus der Serie „Weltschmelz“.

© Anna Meyer

Anna Meyer in Berlin: Die Zukunft ist weiblich

Das Haus am Lützowplatz zeigt Arbeiten der Künstlerin Anna Meyer. Ihre Kunst ist gemalte Kritik an gesellschaftlichen Zuständen.

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Begriffsschöpfungen und das Spiel mit Slogans gehören zu Anna Meyers Werk. „Angestellt in der Firma Welt“ oder „Paint to Politain“ lauteten frühere Ausstellungstitel, Hybride aus Entertainment und Politik. Das passt, ihre Malerei ist eminent politisch, eine gemalte Kritik an gesellschaftlichen Zuständen. In Deutschland ist die gebürtige Schaffhausenerin längst keine Unbekannte mehr. 2006 hatte sie in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst eine Soloschau, nach mehreren Beteiligungen bekommt sie nun ihre erste Einzelpräsentation in Berlin – im Haus am Lützowplatz.

Unter dem Titel „Hopesters“ – wieder so ein Hybrid, diesmal aus Hope und Hipsters – breitet die Künstlerin eine Erzählung der Gegenwart unter dem Einfluss der digitalen Medien aus. Meyer betreibt figurative Malerei mit surrealen Anflügen. So ambivalent die Geschichte einer digitalisierten Gesellschaft ist, so vielschichtig ist Meyers Narrativ. Aspekte aus Zeitgeist, Mode und popkulturellen Codes gehen in ihre Malerei ein. Auf einem Bild ziehen Geflüchtete am Westbahnhof Wiens vorbei; Digitalnerds, die eher gläserne Gefäße als Köpfe haben und auf ihre Smartphones starren, bemerken nichts davon.

Während des Lockdowns produzierte Meyer täglich ein Gemälde auf Stoff zu politischen Themen, die wie Schlagzeilen in Gestalt von skizzierten Bildern angerissen sind. Auf einem Bild schwebt Donald Trump mit goldblonder Tolle über allem und redet mit mehrfach gespaltener Zunge. Vor allem die Farben der großformatigen Gemälde springen den Betrachter an: bunt, knallig, zugleich transparent durch die verdünnte Ölfarbe.

[Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, bis 5. September; Di bis So 11 – 18 Uhr.]

Meyers Malerei erweitert sich darüber hinaus in den Raum. In der Ausstellung sind neben Gemälden altarähnliche Installationen zu sehen: Stadtszenen aus bemalten Pappgebäuden. Tirana, die Hauptstadt Albaniens, kommt in ihrem postsozialistischen Zustand des Brutalkapitalismus mehrfach vor. Eine diabolische Werbung lautet „Share your data – We suck your data“, konterkariert durch den gesprühten Slogan „Diktatur des Likens“.

Frauen in Politik und Kultur feiern

Über Böden und Wände des Haus am Lützowplatz ziehen sich farbige Bänder. Sie verbinden die Bilder wie in einem Organigramm. In jedem tauchen Themen der großen Gegenwartserzählung von Meyer auf. Ihr Bravourstück ist das Work-in-Progress „Futurefeminismus“, beginnend mit einem gemalten Kommentar zur „Bad Painting“-Ausstellung des Wiener Museums moderner Kunst vor 13 Jahren. Im Raum hängen 54 Acrylscheiben, die das Schaffen von Frauen in Politik und Kultur feiern und männliche Dominanz, Ignoranz und Sexismus kritisieren.

Maria Lassnig ist gleich mehrfach vertreten mit ihren bizarren Selbstporträts, die Meyer klein in Öl kopierte. Zu entdecken sind außerdem Alice Neel, Courtney Love, Amanda Gorman, Greta Thunberg. Der Besucher bewegt sich durch ein Gewirr gleichzeitig wahrgenommener Eindrücke und eignet sich auf diese Weise nach und nach eine neue Erzählung an. So wie Ereignisse anarchisch ungeordnet, vor allem gleichzeitig stattfinden, ohne einer höheren Ordnung zu gehorchen, ist bei Meyer auch die Präsentationsform chaotisch gewählt.

Matthias Reichelt

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