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Zum 70. von Peter Kurzeck: Doch noch Frühling

Erika Schmied porträtiert Peter Kurzeck zu dessen 70. Geburtstag.

Er ist ein hinreißender Umstandskrämer, dieser Peter Kurzeck, das hat er zuletzt erst wieder in seinem Großroman „Vorabend“ bewiesen. „Die Frau Vogel – Emmi, Elly, Marianne – weiß nicht nur, was das Geburtstagskind gerne hätte,“ heißt es darin, „sondern auch, was die anderen schenken. Damit man nichts doppelt – aber will, mit den anderen verglichen, auch nicht zu ärmlich dastehen. Im Notfall kann man immer eine Sammeltasse, schön und praktisch. Die Frau Vogel weiß von jedem Haus, welches Porzellanmuster – Rosen, Zwiebel, blaue Blümchen und Goldrand.“

Kurzecks Romane stellen seit dem Debüt „Der Nussbaum gegenüber vom Laden, in dem du dein Brot kaufst“ aus dem Jahr 1979 einen einzigen großen Lebenstext dar. Es ist der unablässige Versuch, Vergangenheit und Gegenwart in literarischer Echtzeit festzuhalten. Seit langem lebt er abwechselnd in Frankfurt am Main und im südfranzösischen Uzès.

Mit der Fotografin Erika Schmied, berühmt geworden durch ihre Porträts von Thomas Bernhard, hat er seine Lebensorte und Romanschauplätze erneut aufgesucht. Da ist der kleine Mann zu beobachten, wie er sein Namensschild am Stadtschreiber-Haus von Bergen-Enkheim anbringt („ein Jahr ohne Sorgen“) oder von einem französischen Balkon auf eine Platane blickt. Und immer wieder die Fachwerkhäuser von Staufenberg in der Wetterau: Anhand dieses Kindheitsdorfes schilderte er in den Romanen „Kein Frühling“ und „Keiner stirbt“ exemplarisch und poetisch unsere Nachkriegsgeschichte. Lange blühte Kurzecks – mitunter für ihn selbst – schwer überschaubares, mäanderndes Romanwerk eher im Verborgenen, galt als Geheimtipp. In den letzten zehn Jahren jedoch haben immer mehr Menschen das Leseglück entdeckt, das Bücher wie „Ein Kirschkern im März“, „Oktober und wer wir selbst sind“ oder eben „Vorabend“ bereiten, aber auch die Hörbücher, für die Peter Kurzeck in einem sanften, leicht singenden Mittelhessisch aus seinem Leben erzählt.

Erika Schmied nahm Peter Kurzecks 70. Geburtstag zum Anlass, seine Lebensstationen in Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu rekonstruieren, ergänzt durch Kurzecksche Familienfotos. Im Juli 1946 musste er dreijährig das westböhmische Tachau bei Pilsen mit einem Flüchtlingstransport verlassen, der Vater wurde von der Familie getrennt. Das Gefühl der Fremdheit hat das Flüchtlingskind früh beobachten und unterscheiden gelehrt. In Staufenberg bei Gießen arbeitete sich Kurzeck zum Personalchef in einem Betrieb der US-Army hoch.

Doch an einem Augusttag 1971, dem Geburtstag seiner Mutter, kündigte er, um als freier Schriftsteller zu leben – zugleich eine Entscheidung für die chronische Existenznot. Aufsätze von Manfred Papst oder Thomas Meinecke verknüpfen sich in Schmieds Buch mit Interviews und Erinnerungen von Weggefährten oder Lebensgefährtinnen wie der Schriftstellerin Bianca Döring zu einem vielfältigen Panorama durch Raum und Zeit.

Auch Tochter Carina, Kurzeck-Lesern seit ihrer Geburt bekannt, ist nun im Bild zu sehen, wie andere reale Romanfiguren. Kunstvoll ergänzen sich Zitate und Fotos, Wege und Umwege beschreibend. Kurzecks innerer Monolog, der stets mit einem beschwörenden „und“ einsetzt („Mai und noch früh, ein Morgen im Mai“) wird so in eine neue ästhetische Dimension gerückt.

Am Ende sieht man, wie er irgendwo bei Uzès mit den Händen in den Taschen gedankenverloren aus dem Bild läuft. Peter Kurzeck erlebt seine Schriftstellerexistenz als unerhörte Begebenheit. Auch an seinem 70. Geburtstag, den Kurzeck heute feiert, hält für ihn das produktive Erstaunen darüber an, zum Glück seiner Leser. Katrin Hillgruber

Erika Schmied (Hg.): Peter Kurzeck – der radikale Biograph. Mit ca. 140 s/w-Fotografien und begleitenden Texten von Peter Kurzeck u. a. Stroemfeld Verlag, Frankfurt a. M. 2013. 216 Seiten, 38 €.

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