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Last der Überlebenden. Antonia (Alexandra Maria Lara) darf zurück in die DDR. Doch über den stalinistischen Terror muss sie schweigen.

© Neue Visionen Filmverleih

Drama „Und der Zukunft zugewandt“: Das Schweigen, das die DDR vergiftete

Der Film „Und der Zukunft zugewandt“ erzählt von einer Rückkehrerin aus dem Gulag. Er wirft ein komplexes Bild auf die Widersprüche des deutschen Sozialismus.

Gerhard Berger wird erschossen, weil er sein schwerkrankes Töchterchen sehen wollte. Bei seiner heimlichen Rückkehr in den Männer-Gulag Workuta erwischen die sowjetischen Lagerwachen den deutschen Kommunisten. Die Leiche wird seiner Frau Antonia (Alexandra Maria Lara) in deren Baracke nachts ohne Erklärung vor die Füße geworfen. Antonia Berger führt verbotenerweise Tagebuch über das qualvolle Leben im Gulag. 1938 kam sie mit einer kommunistischen Kulturgruppe aus Deutschland in die Sowjetunion – das Größte überhaupt, Traum eines jeden wahren Kommunisten.

Doch im Zuge der stalinistischen Säuberungen wurde sie 1940 trotz ihrer Unschuld als Spionin verurteilt. „Wie viel einfacher wäre es, von seinen Feinden gequält zu werden statt von den eigenen Genossen“, schreibt sie. Unerwartet darf Antonia 1952 nach zwölf Jahren Lager mit ihrer Tochter Lydia und zwei anderen Frauen in die junge DDR zurückkehren. Über das Erlebte müssen sie Stillschweigen geloben.

Die Gulags waren in der DDR ein Tabu, die deutschen Kommunisten darin erst recht. Dieses erzwungene Schweigen ist der unsichtbare Hauptdarsteller in dem Spielfilm „Und der Zukunft zugewandt“ von Bernd Böhlich, der einen Bogen schlägt von den Anfängen der DDR bis zum Mauerfall 1989 und zurück. Dieses Schweigen vergiftet von Beginn an den Aufbruch in eine vermeintlich bessere Gesellschaft, deren Ende dann mit der Wiedervereinigung besiegelt war.

Im dreißigsten Jahr des Mauerfalls nach den Gründungsmythen, aber auch den Staatsräson-Bausünden im Fundament der DDR zu fragen, ist eine ausgezeichnete Idee. Umso erfreulicher, dass dies wieder verstärkt von DDR-sozialisierten Regisseuren – wie etwa auch Andreas Dresen – unternommen wird. Mit seiner neuen Regiearbeit legt der 1957 in Löbau geborene Böhlich („Du bist nicht allein“) eine nicht nur sehr bewegende, sondern dazu komplexe Sicht vor auf die Anfangsjahre des „ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden“.

Wohl auch für ihr Schweigen werden die Rückkehrerinnen mit den besten Wohnungen, medizinischer Vorzugsbehandlung, guten Arbeitsplätzen und Antonia sogar mit einem der ersten DDR-Fernsehgeräte bedacht. Dass sie sich für den Arbeiter-und-Bauernstaat entscheidet, obwohl sie ihre eigene Geschichte nicht bezeugen darf, ist Teil jener Widersprüche, die das Land prägten. Grenzenloser Idealismus und Opferbereitschaft bis zur Selbstverleugnung („sonst wäre alles umsonst gewesen“) gehören in ihm ebenso zu den Facetten menschlichen Handelns wie Verrat und Korrumpierbarkeit.

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Das alles wird wie nebenbei deutlich. „Und der Zukunft zugewandt“ zitiert im Titel die Hymne der DDR und beruht auf Erinnerungen von Zeitzeuginnen, maßgeblich denen der Schauspielerin Swetlana Schönfeld, die ihrem Kinder-Ich hier in Gestalt von Lydia begegnet, und deren Mutter. Böhlichs Drehbuch, aber auch den eindrucksvollen Darstellerleistungen etwa von Barbara Schnitzler oder Stefan Kurt ist zu verdanken, dass kaum eine der Figuren schablonenhaft gerät. Gedreht wurde am historischen Ort: im ersten großen Aufbau-Projekt der DDR in Fürstenberg an der Oder, nach Stalins Tod 1953 in Stalinstadt umbenannt, heute Eisenhüttenstadt. Die Rekonstruktion ist präzise, dabei ein wichtiger Binnenkonflikt der DDR gnadenlos getroffen.

Denn in einer Szene konkurrieren zwei kommunistische Opfer-Erzählungen erbittert: Nachdem Antonia ihr Schweigegelübde gebrochen hat, wird sie von der Staatssicherheit abgeholt; ihr Vernehmer ist ein ehemaliger KZ-Häftling, der nicht akzeptieren kann, dass die „große Sache“ und mit ihr die Sowjetunion schlechtgemacht wird. Dass die Wahrheit heute nicht nur in dem besteht, was einer „Sache“ dient, ist kein geringes Gut der Demokratie. Nach diesem Film weiß man das sicher.

Anke Westphal

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