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Echte russische Männer?: Die bekennen sich zu Gewalt.
Die Brutalisierung der russischen Gesellschaft hat den Krieg in der Ukraine mit vorbereitet. Demokratische Politik muss solche Dynamiken lesen lernen.
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Als echter Mann solle ein russischer Mann im eigenen Zuhause ruhig mal so ungestört wie ungestraft zuschlagen dürften. So lautet in etwa der Sinn einer Gesetzesänderung, die 2017 in Russland beschlossen wurde. Damit wurden Gewalttaten in der Familie herabgestuft von einem Straftatbestand zu einer Ordnungswidrigkeit, auf die maximal ein Bußgeld steht. Erst wenn ein Opfer in die Notaufnahme muss, gilt eine Tat als Körperverletzung. Protest dagegen wurde als „westlich verweichlicht“ bezeichnet.
In demokratischen Staaten wurde die Meldung kopfschüttelnd aufgenommen. Ein großes Thema war sie nicht. Ebensowenig wie die staatlich ermutigte „Mode“, Kinder an russischen Schulen und Kindergärten in Militäruniformen zu stecken, oder die Brutalisierung der offiziellen Sprache. All das waren alarmierende Anzeichen einer Demontage des Ethos, es waren Symptome gezielter Entzivilisierung.
Was sich auf der Oberfläche ausnahm, wie hemdsärmelige Folklore oder Marotten im russischen Mikrokosmos, hätte höchstes Interesse auslösen müssen, auch im Makrokosmos der Sicherheitsarchitektur Europas. Ein Junge, der mit zwölf an paramilitärischen Spielen teilnahm steht vielleicht heute ohne Skrupel an der Front im Donbass, um die Ukraine zu „entnazifizieren“.
Unlängst machte die russische Menschenrechtlerin Aljona Popowa in einem Interview mit der F. A. Z. darauf aufmerksam, dass Russland das einzige Land im postsowjetischen Raum ohne Gesetz gegen häusliche Gewalt ist, mit Putin als Prototyp des Patriarchen. Popowa weist auf die makrokosmische Dimension: „Unsere Staatsmacht“, erklärt sie, „verhält sich wie ein Schläger in seiner Familie“. Traumata würden beschwiegen, sagt die 39 Jahre alte Juristin, Mobbing sei an Schulen endemisch.
Ihre Stimme bestätigt, wie dringend Politik und Gesellschaft von Demokratien stärkere sozialpsychologische Erkenntnis benötigen. Normative Setzungen von Staaten, Familien und Betrieben verändern sich laufend. Ein ethischer Kompass richtet sich nicht nach Naturkräften an Nordpol und Südpol aus. Er wird durch soziale Prozesse beeinflusst, die fatale – verpeilte - Eigendynamiken entwickeln können. Oft ist das daher überhaupt nur noch von außen erkennen. Auf dieses Erkennen kommt es an für die Zivilisation, im Mikro- wie im Makrokosmos.
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