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Höchstmögliche Dichte. Stefan Hirsigs Gemälde „Das Orakel spricht“ von 2022.

© Galerie

Ausstellung von Stefan Hirsig: Ein bisschen Goya, ein bisschen Grosz

Anything goes: Stefan Hirsigs Malerei lässt an die Neuen Wilden denken. Die Galerie HaverkampLeistenschneider zeigt seine Bilder.

„Mein Freund Stefan ist Maler“, sagt da der als Teil des Duos „Joko und Klaas“ in Deutschland weltberühmte Klaas Heufer-Umlauf: „Also jetzt nicht einer, der Wände anmalt und irgendwas abklebt, sondern so’n verrückter Maler, der in sein Atelier geht und die ganze Nacht malt.“

Der immerhin dreiviertelstündige, den Atelierbesuch des Fernsehmoderator bei seinem Künstlerfreund dokumentierende Film findet sich auf der Webseite der Galerie Haverkampf Leistenschneider, die – vor fünf Jahren erst gegründet – nun bereits ihre vierte Schau mit Stefan Hirsig zeigt. In seinem mit dekorativen weißen Farbspritzern benetzten schwarzen Oberhemd entspricht er tatsächlich dem landläufigen Bild eines Malers. Mit seiner properen Erscheinung könnte man sich Hirsig aber auch als überhaupt nicht asketischen Bruder Tuck in der 1984er-Fernsehserie „Robin Hood“ imaginieren.

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Der 1966 geborene Hirsig könnte die Serie damals mitbekommen haben. Wenn es stimmt – und natürlich tut es das, was ihm die Kuratorin Harriet Zilch in seinen anlässlich der Ausstellung erschienenen Katalog geschrieben hat, nämlich dass Malerei kein eindimensionales Welterklärungsmodell sei, sondern Leerstellen lasse für neue Assoziationsräume und Bezugsfelder –, dann dürfte Hirsig einem die Assoziation auch nicht weiter übel nehmen. Schließlich hat er seine Ausstellung „Mönch“ betitelt, ebenso wie zwei der 13 Bilder, ein weiteres heißt „Monk“. So wie einen Klosterbruder könnte ein Betrachter im Angesicht der Bilder aber vielleicht auch einen Fernsehmoderator oder einen Zeitungsjournalisten erblicken. Oder auch nicht.

Der größtmögliche Gegensatz: Gerold Millers Minimalismus bei Wentrup

Es sind grellbunte, hochdynamische, gestische Abstraktionen, die an die Neuen Wilden der 1980er Jahre denken lassen. Tatsächlich hat Hirsig an der damaligen Hochschule der Künste bei Bernd Koberling studiert. Ein größerer Gegensatz wäre nicht denkbar zu dem zeitgleich um die Ecke in der Galerie Wentrup präsentierten makellos lackierten Minimalismus eines Gerold Miller. In wenigen Wochen wird auf der Art Basel zu erfahren sein, ob die Händler in diesem Jahr ein bisschen mehr auf Video- oder Foto- oder Installationskunst setzen oder doch wieder lieber – das wäre die sichere Bank – auf Malerei. In jedem Falle gilt in der Kunst längst, was auch in der Mode gilt: Anything goes.

Alles geht, auch bei den Titeln von Stefan Hirsigs Bildern (zwischen 155 x 135 Zentimeter und 290 x 260 Zentimeter, 15.000 bis 29.000 Euro): „Gut Gewinnt“, „Das Beste zum Schluß“ oder gar „Das Orakel spricht“. Es spricht mit zwei Händen, auch Augen sind erkennbar in der aus vielen Schichten zusammengesetzten An-, das heißt: Unordnung. Diese schwarz sich kringelnden Linien … zitiert er da etwa Picasso?

Pollock und Polke, Bacon und Beckmann standen Pate

Die Galeristin Carolin Leistenschneider will auch Referenzen auf Goya und Grosz, Bacon und Beckmann erkennen. Zilch sieht Pollock und Polke und dass, unter diesen Voraussetzungen, die Unterscheidung zwischen Abstraktion und Figürlichkeit keine Relevanz mehr habe. Unter diesen Voraussetzungen: Craquelé-artige Risse und Rillenstrukturen wie auf einer Schallplatte fügen sich mit dem Trompe-l'œil von angedeuteten 3D-Effekten zu in ihrer Dichte kaum mehr steigerbaren Kompositionen. Je zwei Bilder stammen aus den Jahren 2007 und 2008, neun sind atelierfrische Arbeiten – sie lassen sich anhand der in 15 Jahren erreichten Steigerung ihrer Dichte sofort zuordnen.

[Haverkampf Leistenschneider. Mommsenstr. 67. bis 4.6.; Mi bis Fr 11 – 18 Uhr, Sa bis 16 Uhr.]

Nein, Hirsig ist kein die Flächen anstreichender oder lackierender Malermeister, sondern ein meisterhaft aus seinen Idiosynkrasien schöpfender, vielleicht verrückter Maler. Letzteres zu sagen, möge seinen Freunden wie Klaas Heufer-Umlauf vorbehalten bleiben. Jens Müller

Jens Müller

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