
© Matt Marcheski
Ein Porträt des Drehbuchautors und Schriftsteller Carter Bays: In der Realität will doch niemand leben
Mit der Entwicklung der Fernsehserie „How I Met Your Mother“ ist der amerikanische Schriftsteller und Drehbuchautor zum Star geworden - mit „Freunde von Freunden“ hat er jetzt einen Roman geschrieben, der wie eine Sitcom das Leben von Mitdreißgern erzählt.
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Carter Bays ist ein Gesprächspartner, der rundum positive Signale aussendet: Seine Augen strahlen vor Neugier, sein ganzer Gesichtsausdruck vermittelt, aufgeschlossen und auskunftsbereit zugleich zu sein. Auch der Jetlag scheint ihm nichts auszumachen: Bays war gerade drei Tage in Berlin, nun ist er zum Zoom-Gespräch aus Los Angeles zugeschaltet. Hierzulande mag der 47-jährige US-Amerikaner noch kein großes Publikum haben; in den USA dagegen ist er mit der mehrfach Emmy-prämierten Sitcom „How I Met Your Mother“ zu einer Hollywood-Größe geworden. Nun hat er das Fach gewechselt und seinen Debütroman veröffentlicht: „Freunde von Freunden“.
„Anders als in Sitcoms kann ich mich in aller Ruhe ausdrücken, die Charaktere ohne Cliffhänger entwickeln und die Augenhöhe mit meinen Lesern suchen“, sagt er.
Bei der Deutschlandpremiere seines Romans in der Berliner Buchhandlung „Geistesblüten“ umschwirrten ihn Fans im Alter der Protagonisten von „How I Met Your Mother“. Die Mittdreißiger suchten das Gespräch mit dem Noch-Kalifornier, der mit seiner Frau und den drei Kindern in diesem Sommer nach New York City zurückzieht.
Dort, auf der Upper West Side von Manhattan, bezog er seine Inspiration für die von 2005 bis 2014 laufende Fernsehserie „How I Met Your Mother“ mit 208 Episoden und dem Spin-Off „How I Met Your Father“ (in Deutschland beide auf Pro Sieben), an dessen Entwicklung er beteiligt war. Auch sein Roman ist hier angesiedelt, er spielt im Jahr 2015: „Ich kam zum ersten Mal im Alter von 22 Jahren auf die Upper West Side und hatte sofort diese romantische Vision, mich in einem Film von Woody Allen oder Nora Ephron zu befinden. Die Vibes stimmen bis heute. Anders als L.A. ist New York eine Walking City. Du wirst ständig mit anderen Menschen und ihren Geschichten konfrontiert. Die sauge ich auf.“
In seinem über 500 Seiten umfassenden literarischen Debüt geht es insbesondere um die allumfassende Social-Media-Nutzung von Thirtysomethings. Diese tummeln sich auf der fiktiven Dating-App „Suitoronomy“, wo „jedes Gefühl das vorherige vom Whiteboard des Bewusstseins weg wischt“, wie es in dem Roman heißt. Sie verstricken sich über Facebook- und Instagram-Posts in unappetitliche Geschichten, die von den Boulevardmedien genüsslich aufbereitet werden und auf ihre Lebensrealität zurückschlagen. Als allwissender Erzähler fungiert die Künstliche Intelligenz LEO. Sie hat laut Bays den „objektiven Blick“ auf die Social Media-Geschädigten: „Dieser Alien blickt tiefer“. .
Erleuchtung bei einem Sitcom-Kurs
Im Mittelpunkt von „Freunde von Freunden“ steht aber die ganz und gar reale Alice Quick, die Ärztin werden will, das aber aufgrund multimedialer Dauerablenkung nicht schafft. Mit der umtriebigen Rathausangestellten Roxy haust sie in einem Keller, „der vorgibt, eine Wohnung zu sein.“
Am anderen Ende der gesellschaftlichen Skala rangieren Alices Bruder Bill, millionenschwerer Gründer der Shopping-App „MeWantThat“, und seine von Morbus Crohn geplagte Gattin. Das Ehepaar residiert am Riverside Drive – doch Bill radikalisiert sich im Laufe des Romans zum entsagenden buddhistischen Mönch. Tatsächlich hat Carter Bays selbst nach zehn Jahren Sitcom-Dauerdreh-Stress bei einem Buddhismus-Kurs an der Columbia University Erleuchtung gesucht.
Näher an „Sex and the City“ als an Tolstoi
Alle Figuren in seinem multiperspektivischen Roman durchlaufen Wandlungen. Carter Bays erklärt diese weit ausholend aus ihrer familiären Vorgeschichte. Bays führt sie nicht vor, sondern ist jeder einzelnen in Sympathie verbunden.
Dabei bewegt er sich natürlich näher an der Situationskomik seines großen Sitcom-Vorbilds „Sex in the City“ als an Joyce, Tolstoi oder Jane Austen, die er als literarische Vorbilder nennt. Was er aus dem Scheitern seiner Figuren für komödiantische Funken schlägt, hat hohen Unterhaltungswert.
Carter Bays gibt zu, das Smartphone kaum einmal aus der Hand zu legen. Mit Dating Apps habe er aber nichts zu schaffen, betont er. Er gesteht, dass jede seiner Figuren einen Teil von ihm selbst darstelle. „Alice ist mein Avatar in dieser Geschichte. Sie kriegt ihr Leben nicht sortiert, ich oft auch nicht. Stellvertretend für mich löst sie sich von ihrer Handy- und Social Media-Abhängigkeit.“ Ein anderes seiner Idole ist Wim Wenders und dessen Film „Himmel über Berlin“. Eine „magische Zeit“ sei das gewesen, so Bays, als Menschen noch im Auto herumfuhren und Freunde trafen anstatt sich zu Wisch-und-Weg-Dates im Internet zu verabreden. Letztlich sei „nichts im Internet wirklich real“, so eine von Bays Figuren.
Aber, auch das sagt er im Gespräch: „Wer will denn schon in der Realität leben?“ In seinem Roman „Freunde von Freunden“ kommen schließlich noch genug Menschen in einem New York-typischen Patchwork zusammen, um echte Gefühle auszutauschen. Oder wenigstens das, was sie augenblicksweise dafür halten.
Carter Bays ist ein nahbarer Schriftsteller und Drehbuchautor. Einer mit Bodenhaftung. So erklärt er sich gerade solidarisch mit dem anhaltenden Streik der amerikanischen Drehbuchautoren. Er selbst dagegen war in einer vergleichsweise luxuriösen Position, als er gemeinsam mit seinem Studienfreund Craig Thomas „How I Met Your Mother“ entwickelte und mit ständigen Veränderungen am Set auch über zehn Jahre lang produzierte.
Heute, so sagt er, würden gar nicht mehr so viele Episoden in Auftrag gegeben; oft sei nach dem Pilotfilm gleich wieder Schluss; die Riege notwendiger Co-Autoren würde immer mehr reduziert, Budget und Produktionszeiten verkürzt:. „Heute kann selbst der Drehbuchautor einer Erfolgsserie kaum noch davon leben!“.
Auch das sei für ihn ein Grund gewesen, ins Romanfach zu wechseln. Will er jetzt ausschließlich Schriftsteller sein? Carter Bays lacht bei dieser Frage und demonstriert Tatendrang, als er sie beantwortet: Er verhandelt über eine Verfilmung von „Freunde von Freunden“, entwickelt gerade ein Projekt mit Mini-Stories aus dem Hawaii der siebziger Jahre und verfolgt mit seinem Produzenten-Freund Craig Thomas die Idee, ein Film-Musical zu schreiben. Schriftsteller? Doch, ja, natürlich: „Ich habe meiner Frau zehn weitere Romane versprochen.“
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