zum Hauptinhalt
Keine Kunstinstallation. Die Neue Nationalgalerie wird saniert. Bis Ende des Jahres soll sie komplett leer geräumt sein. Dann wird nur noch das Stahl-Skelett stehen. Die Wiedereröffnung ist für 2020 geplant.

© Thilo Rückeis

Baustelle Neue Nationalgalerie: Ein Puzzle mit zehntausend Teilen

Was dauert da eigentlich so lange? Zu Besuch auf der Baustelle der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum.

Klick, klick, klick. Der Apparat hoch über den Helmen der Bauarbeiter und der Architekten macht wieder Bilder. Vier Objektive in allen Himmelsrichtungen, die Tag und Nacht auf die Baustelle gerichtet sind. Der deutsche Künstler Michael Wesely hat die Kamera in der Mitte der Haupthalle angebracht. Damit sich am Ende der Langzeitbelichtung fünf Jahre Sanierungsarbeiten zu einer Fotografie verdichten. So ähnlich hat Wesely schon am Potsdamer Platz gearbeitet und bei der Erweiterung des Museums of Modern Art in New York. Was dieses schattenhafte Abbild nicht zeigen wird: wie kleinteilig diese 101 Millionen teure Auffrischung eines Meisterwerks der Nachkriegsmoderne war.

So kleinteilig, dass man, wenn man draußen vorbeispaziert, bisher gar nicht wahrnimmt, dass sich drinnen was tut. Die Neue Nationalgalerie sieht eigentlich aus wie immer, seit die Elektro-Pioniere von Kraftwerk den in die Jahre gekommenen, bröckelnden Bau im Januar 2015 in die Pause verabschiedet haben. Was also ist in der Zwischenzeit passiert?

„Von der Schließung bis zum Ende des vergangenen Jahres wurde das Gebäude beräumt. 1400 Kunstwerke mussten gesichtet, katalogisiert, auf ihre Transporttauglichkeit überprüft und teilweise restauratorisch für die Transporte bearbeitet werden“, sagt Arne Maibohm, verantwortlicher Projektleiter bei der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Auch die schweren Skulpturen aus dem Außenbereich, wie der Neun-Tonner von Richard Serra, mussten behutsam abgebaut und eingelagert werden. Ebenso das historische Mobiliar. Für die Mitarbeiter mussten neue Räumlichkeiten gesucht werden: Sie haben, wie ein Teil der Sammlung, ein Ausweichquartier im Hamburger Bahnhof gefunden. Noch bis 21. August läuft dort die Ausstellung „Die Schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung. 1933–1945“.

Wie lässt sich der Granitboden ohne Schaden abheben?

Seit Anfang des Jahres nun: die schleichende Demontage einer Architektur-Ikone. „Sie müssen sich das wie ein Puzzle mit über zehntausend Teilen vorstellen“, sagt Maibohm. Die Nationalgalerie muss bis auf den Rohbau rückgebaut werden. Jedes Teil, vom Lüftungsrost über die Fußbodenleiste, erhält eine 16-stellige Identifikationsnummer, damit bei der Rekonstruktion alles genau wieder an Ort und Stelle sitzt. Anschließend wird alles in Depots am Rand von Berlin eingelagert. Der Bau wird wie ein rohes Ei behandelt. So haben Maibohm und sein Team kürzlich an einer Platte ausprobiert, wie 3000 Quadratmeter Granitfußboden möglichst ohne Schaden mit Vakuum-Hebern hochgehoben und wegtransportiert werden können.

Haben hier den Helm auf. Die Projektleiter Arne Maibohm und Martin Reichert.
Haben hier den Helm auf. Die Projektleiter Arne Maibohm und Martin Reichert.

© Thilo Rückeis

Gerade sind die Bauarbeiter dabei, die beiden Garderoben im Glas-Stahl-Pavillon Stück für Stück abzumontieren. An den Holzwänden sieht man noch Schellack-Proben in verschiedenen Nuancen. „Mies van der Rohe war der Dreiklang aus grauem Granit, grünem Marmor und orangefarbenem Holz wichtig“, sagt Martin Reichert vom Büro David Chipperfield Architects, das mit der Sanierung beauftragt ist. Nur ist das Furnier aus Roteiche im Laufe der letzten knapp 50 Jahre stark ausgeblichen. Und weil das oberste Credo dieser Sanierung „So viel Mies wie möglich“ lautet, geht es jetzt wieder annähernd zurück zum originalen warmen Rot. Der Denkmalschutz steckt im Detail. Und braucht viel Vorlauf.

„Wie kann man operieren, wenn man nicht weiß was?“, sagt Architekt Reichert. Und meint damit das Problem mit der Glasfassade, sie ist einer der heikelsten Patienten. Die monumentalen Fensterscheiben sollen wie im Originalzustand, wieder durchgängige Flächen sein und nicht zweigeteilt, so wie sie sich notgedrungen heute zeigen. Um sicherzugehen, dass sie nicht noch einmal unter wechselnden klimatischen Verhältnissen kaputtgehen, musste das Sanierungsteam die Ursachen für den Glasbruch klären. Dazu wurde ein Lasermessgerät an der Decke angebracht, das die Bewegung des Daches erfasst. Der Deutsche Wetterdienst stellte für drei Monate eine Wetterstation auf. „Durch den Abgleich der Daten wissen wir jetzt genau, wie weit sich die Fassade in welchen Bereichen dehnt“, sagt Arne Maibohm. Ein Geburtsfehler der Architektur wird bei der Sanierung behoben. Dehnfugen sollen für die nötige Entlastung sorgen.

Ende 2016 soll es endlich aussehen wie auf einer richtigen Baustelle

Und wie geht es weiter? Zum Tag des offenen Denkmals werden am 10. und 11. September Rundgänge durch die Neue Nationalgalerie angeboten – bevor es Ende 2016 „hier dann wirklich wie eine richtige Baustelle aussieht“, sagt Arne Maibohm vom BBR. Dann steht vom Museum nur noch das Stahl- und Betonskelett, eingehüllt von Bauzäunen und Gerüsten. So weit zurückzubauen ist nötig, weil technische Einrichtungen in der Decke und im Boden sowohl im Erd- wie Untergeschoss komplett erneuert werden müssen.

Das Haus soll fit gemacht werden für die Ansprüche an ein Museum des 21. Jahrhunderts. Dazu gehört auch, auf Wünsche von internationalen Leihgebern einzugehen. Die wollen keine gleichmäßige Beleuchtung mehr, wie sie einst en vogue war. Die Leihgaben sollen nun mit einem Spot angestrahlt werden. Also sind die Chipperfield-Architekten im Untergeschoss gerade dabei, ein Beleuchtungssystem zu entwickeln, das aussieht wie bei Mies, aber individuell verstellbar ist.

Noch ist alles im Zeitplan

Kosten- und zeitintensiv ist vor allem die Lüftungs- und Klimatechnik. Zum Beispiel die Fußbodenheizung, die unter den Granitplatten in der Haupthalle liegt – in Deutschland damals noch eine ziemliche Errungenschaft. „Nach zehn, 15 Jahren war sie defekt und von da an außer Betrieb“, sagt Chipperfield-Architekt Martin Reichert. Eine neue Anlage muss rein, die dann aber nicht nur heizt, sondern auch kühlt. Eine Wärmerückgewinnung – heute Standard – wird eingebaut, und zwar im Außenbereich, dazu müssen Wände abgestützt werden. Ebenfalls ins Erdreich hinein gehen die Bauarbeiten für neue Depotflächen. 150 Quadratmeter unter der Terrasse am Besuchereingang. So werden die bisherigen Lagerräume frei: Dort, wo einst Skulpturen aufbewahrt wurden, soll der Buchladen Platz finden. Das ehemalige Gemälde-Depot wird Garderobe, sodass die bisher als Taschen- und Mantelabgabe genutzten Flächen wieder dem Ausstellungsbereich zufallen, wie es der Architekt einst vorgesehen hatte. Die Nationalgalerie soll von Provisorien befreit werden, die sich im Laufe von 50 Betriebsjahren ergeben haben.

Noch steht der Zeitplan. „Wir gehen davon aus, dass er haltbar ist“, sagt Arne Maibohm vom BBR. Heißt: Mitte 2019 soll die sanierte Nationalgalerie an die Staatlichen Museen übergeben werden. Das wären die bisher genannten fünf Jahre. Dann bleibt noch ein Jahr, um die Ausstellung zur Wiedereröffnung einzurichten, bis Mitte 2020. Noch steht die thematische Ausrichtung nicht fest. Eingeweiht wurde die Neue Nationalgalerie am 15. September 1968 mit einer Piet-Mondrian-Schau. Es wäre naheliegend, hier einen Bogen zu schlagen. Die jüngste umfassende Mondrian-Ausstellung im Martin-Gropius- Bau ist dann ja schon eine Weile her.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false