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Perspektivwechsel. Die Darsteller turnen im charakteristischen Gorki-Giebel herum. 

© Gorki/Ute Langkafel

Maxim Gorki: Ein Theater macht sich fertig

Raffinierte Selbstironie und ausgeklügelte Perspektivenwechsel: Oliver Frljiks Politabend „Gorki – Alternative für Deutschland?“ am Maxim Gorki Theater

„Ausdrücklich erwünscht sind Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund“, zitiert Schauspieler Till Wonka in aggressiv-angesäuertem Tonfall eine Stellenausschreibung des Maxim Gorki Theaters, auf dessen Bühne er gerade steht. „Es findet also eine positive Ausgrenzung statt“, sekundiert seine Kollegin Mareike Beykirch und schmettert mit einem Stimmorgan, das noch die Zuschauer im Rang von den Sitzen hauen dürfte, über die Rampe: „Es gibt Aufführungen, in denen es die Schauspieler wegen Mängeln ihres sprachlich-handwerklichen Könnens nicht schaffen, über die fünfte Reihe hinaus verständlich in den Zuschauerraum zu sprechen.“

Großer Lacher natürlich im Publikum; vor allem ab Reihe 6. „Wird dann doch jede Spielzeit einmal versucht, einen Klassiker zu inszenieren“, steigt jetzt auch Falilou Seck ins selbstironische Gorki-Theater-Bashing auf der Bühne ein und hebt dabei noch mal mit Grandezza das Aggressionslevel, „sind die Darsteller überfordert.“ Aber wie solle auch „die Inszenierung eines Stückes in deutscher Sprache gelingen“, schimpft er, „wenn die meisten Regisseure hier kein Deutsch sprechen?“

„Gorki – Alternative für Deutschland?“ heißt Oliver Frljićs Politabend, der neben Improvisationen der Schauspielerinnen und Schauspieler und dem Afd-Programm auch theaterinterne Diskurse etwa von Bernd Stegemann oder Wolfgang Engler und Rezensionen als Textmaterial verwendet. Die „Statements der Wutmonologe“ am Gorki, zitiert Wonka aus einer Kritik, seien „in ihrem robusten Schwarz-Weiß- Weltbild oft genauso differenziert wie die Parolen einer Pegida-Demonstration“.

Frljić versucht, möglichst direkt die lokalen Schmerzpunkte zu treffen

Als Stadttheater im konkretesten Sinne könnte man die Arbeit des bosnischen, in Kroatien lebenden Regisseurs und Autors Frljić beschreiben, dessen Inszenierungen oft von nationalistisch-rechten Kreisen angegriffen, boykottiert und etwa in Bosnien, Kroatien oder Polen auch zensiert und verboten wurden. Frljić ist preisgekrönter Stammgast auf internationalen Theaterfestivals; 2016 trat er aus Protest gegen die kroatische Kulturpolitik von der Intendanz des Nationaltheaters Rijeka zurück, das er zwei Jahre lang geleitet hatte. Er versucht so direkt und dabei intendiertermaßen plakativ und provokant wie möglich die jeweils lokalen Schmerzpunkte zu treffen.

So unterzog er die in ihrer „toleranten Aufgeklärtheit“ naturgemäß ziemlich abgeklärte Zuschauerschaft des Münchner Residenztheaters vor drei Jahren unter dem Motto „Balkan macht frei“ einem buchstäblich grenzwertigen Aktivitätstest, indem er auf der Bühne so lange Waterboarding praktizieren ließ, bis jemand aus dem Publikum einschritt. Und den bürgerlichen Dresdnern im Parkett des örtlichen Staatsschauspiels haute er unlängst in „Requiem für Europa“ mittels Schauspielern in Horrorclownskostümen ihre (Nicht-)Haltung zu Pegida um die Ohren.

„Gorki – Alternative für Deutschland?“ arbeitet bewusst raffinierter und dank besagter Selbstironie auch amüsanter. Der Perspektivwechsel, den das Ensemble eingangs vollzieht, indem es die von außen (und bisweilen auch explizit rechtsaußen) an es herangetragenen Vorwürfe und Klischees zur Belustigung des Publikums höchstselbst von der Bühne herunterschleudert, dabei aber auch durchaus Platz für kritische Selbstreflexion lässt, weitet sich im ersten Teil zum generellen Leitmotiv des Abends aus. Der zum Beispiel dazu führt, dass sich Mehmet Ateşçi, der von seinem (sächsischen) Kollegen Till Wonka einmal als „schwuler türkischer Moslem“ und mithin als eine Art personifiziertes AfD-Feindbild par excellence einsortiert wird, plötzlich zu dem tiefen Stoßseufzer „Ihr armen Deutschen!“ bemüßigt sieht. Denn die werden hier in astrein vorgeführter AfD-Bilderbuchrhetorik gern mal in den Opferdiskurs hineinmanövriert.

Im zweiten Teil ist der Abend weit weniger originell

„Wir haben ein Problem am Gorki, wir haben zu viele deutsche, weiße Frauen angestellt und gemerkt, dass nicht bei allen die Narrative genug hergeben, der Background nicht interessant genug ist“, plaudert etwa Ateşçi zu vorgerückter Stunde fröhlich von der Bühne und lässt die Schauspielerinnen Svenja Liesau und Mareike Beykirch in einer Art autobiografischem Elendsprostitutionswettstreit gegeneinander antreten: Wer die Zuschauer mit seiner Story mehr rühre, dürfe bleiben, so die behauptete Spielregel. Frljić bedient sich hier bewusst jener typischen, nämlich mit den Lebenskontexten der Darsteller arbeitenden, aber ausdrücklich nicht dokumentarischen, sondern mit krachenden Stereotypen spielenden Inszenierungspraxis des Gorki, die im Auftakt-Bashing-Block freilich bereits genüsslich von einem imaginären kanonischen Fachexperten-Kothurn herab kritisiert wurde.

Während Beykirch beim Schauspielerinnen-Wettstreit mit einer Unterschichtsstory vorlegt, zieht Liesau nicht minder tränsendrüsenselig in AfD-Manier nach: „Ich wurde vergewaltigt, von meinem Exfreund, er ist Syrer“ – und zerrt zum „Beweis“ das daraus entstandene Kind (Alexander Sol Sweid) auf die Bühne. „Danke schön, Svenja“, klopft Ateşçi der „armen Deutschen“ auf die Schulter.

Im zweiten Teil des Abends gibt Frljić diese Praxis allerdings auf und lässt – wozu ein Riesen-Bühnenmodell des Maxim Gorki Theaters gen Zuschauerraum fährt, zurückrudert, schließlich rotiert – in bewährter Verfremdungsmanier fast nur noch demagogische Reden etwa von Marc Jongen oder auch von Joseph Goebbels vorführen. So, wie man es schon häufig in Theaterabenden sah, die sich mit der AfD und dem europäischen Rechtsruck überhaupt auseinandersetzen. Schade, denn der Auftakt war tatsächlich originell-verheißungsvoll.

Nächste Vorstellungen an diesem Samstag, 17. März, sowie am 23. März, 19.30 Uhr

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