zum Hauptinhalt
Rushhour am Huangpu. Shanghai im Juli 1947.

© IMAGO/Pond5 Images/IMAGO/xLIFE_Picture_Collectionx

Eine Czernowitzer Jüdin in China: Klara Blums Exilroman „Der Hirte und die Weberin“

Als neue Herausgeberin der Anderen Bibliothek führt Julia Franck die Andere Bibliothek mit einem einzigartigen Exilroman fort.

Von Gregor Dotzauer

Stand:

Jede Kultur hat ihre mythischen Liebespaare. Wo Romeo und Julia in der westlichen Welt gegen alle Widrigkeiten umeinander kämpfen, sind es in der arabisch-persischen Welt Leila und Madschnun, während einem in Ostasien der Kuhhirte und die Weberin als Inbegriff unvergänglicher Leidenschaft vor Augen stehen. Einer Volkssage zufolge, deren früheste Spuren sich bereits vor mehr als zweieinhalbtausend Jahren im chinesischen Shijng, dem Buch der Lieder, finden, haben die Götter sie an zwei entgegengesetzte Orte der Milchstraße verbannt. Wer in einer klaren Nacht den Sommerhimmel beobachtet, kann den Hirten in Gestalt des Altair im Sternbild Adler entdecken, die Weberin in Gestalt der Wega im Sternbild Leier.

Wie ausgerechnet eine Czernowitzer Jüdin dazu kam, die Liebe ihres Lebens in dieser Sage zu spiegeln, verbindet eine schwärmerische Sinophilie mit einer tatsächlichen Emigration nach China. Wobei Klara Blum an romantischen Projektionen zumindest literarisch auch festhielt, um sich die bittere Fremdheit der neuen Heimat ein Stück weit schönzureden.

Sie war ein spätes Kind der Habsburgermonarchie. Mit ihrer Mutter war sie 1913 nach Wien gezogen. Sie studierte Psychologie, schrieb für meist jüdische Blätter über Frauenrechte und Zionismus, verfasste daneben Gedichte und politisierte sich im Dienst des Sozialismus zusehends. 1934 emigrierte sie zum ersten Mal – nach Moskau. Dort verliebte sie sich 1937 in den verheirateten kommunistischen Theaterregisseur Zhu Xiangcheng: Die vier gemeinsamen Monate, bevor er auf Nimmerwiedersehen verschwand, wurden zum Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens.

Eine Exilantin nach den NS-Exilanten

Als Blum 1947 im Alter von 43 Jahren in Shanghai ankam, um nach ihm zu suchen, waren viele jüdische Exilanten schon weitergezogen. An der Hochschule für Fremdsprachen fand sie zunächst Arbeit als Bibliothekarin, dann eine Stelle als Deutsch-Professorin an der Fudan-Universität. 1952 ließ sie sich einbürgern, trug von da an den Namen Zhu Bailan und baute ab 1957 an der Zhongshan-Universität in Guangzhou eine neu eingerichtete Germanistik-Professur auf.

Kollision der Welten. Shanghai kurz vor der Gründung der Volksrepublik China.

© imago/AGB Photo

„Der Hirte und die Weberin“, Klara Blums einziger veröffentlichter Roman, erzählt von der Leidenschaft für Zhu Xiangcheng in der Form eines autobiografischen Schlüsselromans. In fünf Teilen, die vom Sommer 1929 bis zum Frühjahr 1949 spielen, imaginiert Blum die Shanghaier Vorgeschichte des Geliebten, den sie wie den Hirten aus der Volkssage Nju-Lang nennt. Sie selbst tritt als Hanna Bilkes auf und als Weberin Dshe-Nü, begibt sich nach Moskau, überbrückt die Trennung mit einander zugedachten Tagebuchnotizen, deren einen Teil sie notgedrungen erfinden musste, und kehrt schließlich nach Shanghai zurück. Dort macht sie nach elf kontaktlosen Jahren Nju-Lang ausfindig.

Die Andeutung des wiedergefundenen Glücks währt nur eine Nacht – und kommt auch nur in der Fiktion zustande: Der wirkliche Zhu, ein Opfer der stalinistischen Säuberungen, war bereits 1943 in einem sibirischen Arbeitslager zu Tode gekommen. Bis zu ihrem eigenen Tod im Jahr 1971, mitten in den Wirren der Kulturrevolution, wusste Klara Blum, wie es heißt, nichts davon. Dem Literaturwissenschaftler Adrian Hsia zufolge wollte sie es nicht einmal wissen: Als die Nachricht von Zhus Schicksal 1959 durch das Zerwürfnis von China und der Sowjetunion zu ihr drang, soll sie es als bloßes Gerücht geleugnet haben.

Das völkerversöhnende Pathos, mit dem sie ihre Obsession orchestriert, spricht sehr dafür. Ob sie die Zärtlichkeit, die ihr ein einziges Mal in ihrem einsamen Leben zuflog, in Prosa fasst oder ihr lyrisch Ausdruck verleiht: Zwischen dokumentarischer Genauigkeit und literarischer Einbildungskraft schleicht sich immer wieder ein exotisierender Zug ein, der die chinesische Mentalität mit einer Flut von fragwürdigen Zuschreibungen und Anverwandlungen zu umarmen versucht.

Nachschöpfung mit Sentiment

„Mit der uralten Behutsamkeit seines Volkes“, heißt es einmal, „fand Nju-Lang den Weg vom Freund zum Liebhaber. Sein Blick erblindete nicht, sein Gehör ertaubte nicht, seine Liebesworte verstummten nicht. Es war Hanna, als fingen die Wände des kleinen Zimmers zu leuchten an, tiefgolden am Abend, silberglühend bei Nacht und rosig am nächsten Morgen.“ Kein Wunder, wenn sie, chinesische Verse nachschöpfend, dichtet: „Jahrelange Trennungszeit / Kurze Stunde nur zu zweit / Und geliebt in Ewigkeit.“

Jüdisch-chinesisches Doppelleben. Die Schriftstellerin Klara Blum.

© privat

Das 1951 im Rudolstadter Greifenverlag erschienene, von offizieller Seite damals bekämpfte und anschließend schnell untergangenene  Buch ist trotz seiner sentimental aufgedonnerten realistischen Schlichtheit ein einzigartiges Zeugnis. Ungeachtet der Chinoiserien, die die deutsche Literatur von Alfred Döblin bis zu Bertolt Brecht, von Günter Eich bis zu Heiner Müller geprägt haben, gibt es neben Klara Blum, soweit die Exilforschung bisher weiß, nur einen einzigen deutschen Schriftsteller, der behaupten kann, tiefere Erfahrungen mit dem Reich der Mitte gesammelt zu haben.

Die Rede ist von dem deutschen Kommunisten F.C. Weiskopf, den die Tschechoslowakei von 1950 bis 1952 als Botschafter nach Peking entsandte. Dieser Zeit entsprangen der Bericht „Die Reise nach Kanton“ und eine erstaunliche Zahl von Nachdichtungen. Egon Erwin Kisch etwa hatte seine Reportagensammlung „China geheim“ nach einer bloß sechswöchigen Reise 1932 verfasst. Sara Landa untersucht in ihrer kürzlich unter dem Titel „Chinesisch-deutsche Lyrikdialoge“ bei de Gruyter erschienenen Dissertation viele dieser Imaginationen und Projektionen und vergleicht insbesondere Blum und Weiskopf in deren Rolle als „Mittler und Provokateure“.

Zeitgenossin von Otto Braun

In ihrer Verstrickung mit den Zeitläuften ähnelt Klara Blum eher ihrem kommunistischen Zeitgenossen Otto Braun (1900-1974). Auch er war, nachdem ihn bewaffnete Genossen unter Beteiligung seiner Lebensgefährtin Olga Benario 1928 aus dem Berliner Untersuchungsgefängnis Moabit befreit hatten, über Moskau, wo er an der Militärakademie studierte, nach China gelangt. Dort sollte er im Auftrag der Komintern Mao Zedongs Bauernarmee zur Seite stehen. Nach einer verheerenden Niederlage gegen Chiang Kai-Sheks Gudomindang 1934 sah er sich gezwungen, eine Hunderttausendschaft von Soldaten und Familienangehörigen in dem über ein Jahr währenden „Langen Marsch“ trostlos dezimiert nach Yanan in der Provinz Shaanxi zu führen.

Schon auf halber Strecke setzte Mao, der zusammen mit Zhou Enlai, dem nachmaligen Ministerpräsidenten der Volksrepublik, auch szenisch bei Klara Blum auftritt, alles daran, Braun auszubooten. Über seine Erlebnisse in den Jahren 1932 bis 1938 hat er reichlich hölzerne Erinnerungen verfasst.

Diese in blauer Serifenschrift gedruckte Neuausgabe von „Der Hirte und die Weberin“ eröffnet die nunmehr von Julia Franck (zusammen mit Rainer Wieland) kuratierte Andere Bibliothek als Band 463. Franck, die ein umfassendes 30-seitiges Nachwort beigesteuert hat, war durch Sandra Richters „Weltgeschichte der deutschen Literatur“ auf Blum aufmerksam geworden. lm Deutschen Literaturarchiv Marbach, dessen Direktorin Richter ist, liegt ein Teil des Nachlasses, darunter der seinerzeit in der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“ nur auszugsweise veröffentlichte „Mosaik-Roman aus dem neuen China“ namens „Schicksalsüberwinder“ aus dem Jahr 1961.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Unverständlich ist nur, dass sich Julia Franck in ihrer Darstellung auf eine Weise mit fremden Federn schmückt, die mit der einmaligen Nennung von Blums „Biographin Zhidong Yang“ nicht abgetan werden kann. Denn es handelt sich bei Yang um eine auf Deutsch schreibende, in Klagenfurt lebende Literaturwissenschaftlerin aus China, die mit ihrer glänzend recherchierten, ausgezeichnet lesbaren, unter dem Siegener Germanisten Helmut Kreuzer entstandenen und 1996 im Peter Lang Verlag erschienen Dissertation unschätzbare Pionierarbeit geleistet hat.

Fünf Jahre später gab Yang im Wiener Böhlau Verlag überdies eine reich kommentierte Auswahl von Klara Blums Werken heraus, die neben dem Roman auch Erzählungen, Gedichte und publizistische Texte enthält. Francks Versuch, den „Hirten und die Weberin“ als feministische Pionierarbeit zu lesen, gleicht das nicht aus: Auf jeden im heutigen Sinn fortschrittlichen Aspekt kommt ein antiquierter.

Unglücklich verhält sich diese Ausgabe, bei allem Verständnis für die historische Texttreue, auch gegenüber chinesischen Wörtern, Namen und Orten. Statt der mittlerweile gängigen Pinyin-Romanisierung erscheint hier etwa die Stadt Chongqing noch als Tschung-Tssjing, der Ingenieur – gongchengshi - als Gung-Shen-Sse.

Wer sich derlei nicht selbst zusammenreimen kann, wird es auch in keinerlei Glossar finden. Für das Sprachenmischmasch, das bei Klara Blum zwischen geradebrechtem Englisch, Chinesisch und Jiddisch herrscht, ist das vielleicht auch nicht ausschlaggebend. Wie singt ihr Alter Ego bei einem Fest zur Proklamierung des Staates Israel am 14. Mai 1948 mit kabarettistischer Verve? „I am a little Mandarin / Und komm direkt aus China. / In Wirklichkeit bin ich ein Jud’/ Und aus der Bukowina.“ Klara Blum setzte alles daran, beides auf einmal zu leben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })