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Drama „Adam“ im Kino: Eine frisch gebackene Frauenfreundschaft
In Maryam Touzanis Drama „Adam“ wird das Kneten des Teigs zum Zeichen der Solidarität zwischen zwei Frauen.
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Die herzzerreißenden Melodien der algerischen Sängerin Warda Al-Jazairia wurden im Haus von Abla schon vor Jahren zum Verstummen gebracht. Die verhärtete Witwe hat die Musikkassetten im Schrank verschlossen und aus ihrem Leben verbannt. Die Musik Wardas teilte sie mit ihrem Mann, ihren Songs lauschte Abla (Lubna Azabal), wenn sie auf ihn wartete. Um die Liebeslieder in die Gegenwart zu holen und sich wieder berühren zu lassen, muss erst Samia (Nisrin Erradi) ihren Weg kreuzen.
Auf der Suche nach einer Bleibe streift die hochschwangere Frau in den schmalen Gassen von Casablanca von Haus zu Haus, um ihre Dienste als Köchin oder Haushälterin anzubieten. Doch spätestens beim Blick auf ihren gewölbten Bauch schließen sich vor ihrer Nase die Türen. Auch Abla, die von ihrer Küche aus eine kleine Bäckerei mit Straßenverkauf betreibt, weist sie zunächst ab. Erst als überall die Rollläden heruntergelassen sind und Samia noch immer vor ihrem Haus hockt, bittet sie sie hinein. Ihre schroffe Einladung klingt fast wie eine Drohung: „Morgen früh bist du weg.“
[In sechs Berliner Kinos (auch OmU)]
Am nächsten Tag ist die junge Frau immer noch da. Ihre Bedürftigkeit, gepaart mit einer Mischung aus Hartnäckigkeit und Freundlichkeit, machen es Abla schwer, sie auf die Straße zu setzen. In ihrer kleinen Tochter Warda, die die Fremde sofort ins Herz schließt, hat Samia außerdem schnell eine Komplizin gefunden, auch bringt sie mit ihren Rziza – dünne Teigstreifen, die zu einem turbanähnlichen Knäuel aufgewickelt und im heißen Öl gebacken werden – wieder Schwung ins schleppende Geschäft. Abla ringt sich dazu durch, sie bei sich aufzunehmen, bis sie ihr Kind zur Welt gebracht hat. Das Auftauchen der schwangeren „Cousine“ in ihrem Haus wird natürlich auch schnell Thema beim Nachbarschaftstratsch.
Die marokkanische Filmemacherin Maryam Touzani erzählt die Begegnung zwischen den beiden Frauen als eine gegenseitige Berührung, als Umwandlung von Starre in Bewegung. Samia, nach außen hin beschwingt und lebensfroh, hat sich dem wachsenden Leben in ihrem Bauch emotional fest verschlossen. Als unverheiratete Frau, die ihren Zustand vor der eigenen Familie verbergen muss, sieht sie sich dazu gezwungen, das Baby nach der Geburt zur Adoption freizugeben. Bei Abla hat der Schmerz über den Verlust ihres Mannes die Verbindung zu ihrem Körper regelrecht abgetrennt und ihr harte Linien ins Gesicht gezeichnet.
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Die Situation der Frauen in ihrem Land begleitet die Arbeit Touzanis seit ihren Anfängen. 2008 dokumentierte sie den ersten Frauentag in Marokko, einige Jahre später entstand „Under My Old Skin“. Der Dokumentarfilm gab den Anstoß für „Much Loved“, Nabil Ayouchs viel beachteten (und in Marokko verbotenen) Spielfilm über Sexarbeiterinnen; Touzani arbeitete am Drehbuch mit. In „Adam“ ist die Kritik an den patriarchalen Verhältnissen dezenter, der Tonfall wesentlich intimer und leiser. Im Zentrum stehen eher Solidarität und Freundschaft als Ungleichheit und gesellschaftliche Ächtung. Beides ist dennoch stets präsent. „Uns Frauen gehört nur wenig wirklich“, meint Samia einmal.
„Adam“ spielt fast ausschließlich in Ablas Haus. Es ist ein finsterer und verschlossener Ort, allein das Tresenfenster, an dem die Frauen ihr Gebäck verkaufen, öffnet den Raum zur Außenwelt; Licht fällt hinein, man sieht das Treiben auf den Straßen. In der Küche wird das Backen zum Gradmesser der Befindlichkeiten. Sie müsse den Teig „kennen“ und fühlen, weist Samia Abla zurecht, die angespannt und hektisch einen Klumpen bearbeitet. Touzanis Begriff von Sinnlichkeit und Körperlichkeit ist eher schlicht, auch kommt der Film nicht ohne die für kulinarische Erzählungen typischen Wohlfühlbilder aus. Weich und geschmeidig wie ein gut durchgekneteter Teig wird Ablas steifer Körper aber erst durch Warda Al-Jazairias Stimme. Samia zwingt sie zum Zuhören, Tränen laufen über ihr Gesicht, sie beginnt sich zu bewegen. Die Musik dreht sie regelrecht um. Der Anfang einer nicht nur körperlichen Verwandlung.
Das innere Drama erzählt sich in „Adam“ vor allem über Close-ups. Die Kamera von Virginie Surdej („Kabul Kinderheim“) registriert jede Bewegung in den Gesichtern von Abla und Samia, den feuchten Schimmer in ihren Augen. Mitunter folgt das Nebeneinander der Frauen einem vorhersehbaren Mechanismus. Das Drehbuch, das Touzani mit ihrem Mann Ayouch geschrieben hat, stellt ihnen Aufgaben. Für Samia, beeindruckend wandlungsfähig gespielt von der jungen Nisrin Erradi, fangen die schwersten erst nach der Entbindung an.
Esther Buss
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