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Kultur: Eine wunderbare Ehe

Thomas Ostermeier überrascht beim Theatertreffen mit seiner Münchner Fassung der „Maria Braun“

Die These mag gewagt, subjektiv und schwer zu verifizieren sein. Wegen überschwänglicher Freude über den Theatertreffen-Beitrag „Die Ehe der Maria Braun“ von den Münchner Kammerspielen muss es dennoch heraus: Da sitzen ein paar hundert Bühnenfachleute und andere regelmäßige Theatergänger im Parkett, und höchstens, sagen wir, schlappe sieben tippen darauf, dass diese Inszenierung von Thomas Ostermeier stammt!

Tatsächlich zeigt sich der Schaubühnen-Chef, der im eigenen Haus vornehmlich den gediegenen, ernsten Realismus pflegt, hier von äußerst ungewöhnlicher Seite. Wer Ostermeiers letzte Inszenierungen im Hinterkopf hat – zum Beispiel „Room Service“ oder „Die Stadt/Der Schnitt“ –, dürfte in den ersten 15 Minuten von „Maria Braun“ ausschließlich damit beschäftigt sein, sich die Augen zu reiben. Malt der Regisseur seine Figuren sonst breit und eindeutig aus, bis er jegliche produktive Irritationsmöglichkeit wasserdicht verschlossen und den Humor zu einer ziemlich bleifüßigen Angelegenheit gemacht hat, ist hier plötzlich eine spielerische Fantasie, ja Leichtigkeit am Werk, die den Raum weit öffnet. So weit, dass sich Komik wie Tragik, wo sie am Platz sind, wie von selbst einstellen.

Und das alles bei dieser Vorlage: Fassbinders Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre-Melodram von 1979, das zu Recht als einer jener Fälle gilt, an denen man als Nachinszenator eigentlich nur scheitern kann! Das fängt bei Fassbinders grandioser Schauspielerfamilie an – Hanna Schygulla, Gisela Uhlen, Hark Bohm, Klaus Löwitsch oder Günter Lamprecht – und hört bei der Kino-Ästhetik nicht auf.

Ostermeier findet für seine Bühnenadaption eine Lösung, die im Grunde verblüffend einfach und genau deshalb so schwer zu machen ist. Das Stichwort heißt Originalitätskrampfvermeidung: Ostermeier gelingt das Kunststück, jenseits einer notgedrungen defizitären Filmnacherzählung etwas Eigenes auf die Bühne zu stellen, ohne deshalb Fassbinder zwanghaft gegen irgendeinen selbst auferlegten Strich bürsten zu müssen. Die Schauspieler – allen voran Brigitte Hobmeier als Titelheldin – spielen also weder Kopien noch Gegenentwürfe. Am ehesten könnte man wohl von Reverenzen sprechen – an Figuren wie Schauspieler der Filmvorlage.

Nur eine Darstellerin und vier Darsteller bringen Fassbinders personalintensives Werk hier auf die Bühne. Während Hobmeier zuverlässig Maria Braun ist und bleibt, werden die restlichen Rollen, männliche wie weibliche, von ihren Kollegen geschultert. Mit erfreulich unspektakulären, andeutungsweisen Kostümwechseln auf offener Bühne mutiert Hans Kremer von Marias Mutter zum Buchhalter Senkenberg. Steven Scharf reicht eine dunkle Lockenperücke, um sich vom Kriegsheimkehrer Hermann Braun zur Maria-Freundin Betti zu wandeln; Jean-Pierre Cornu macht im Grunde schon durch einen punktgenauen Haltungswechsel den schwerhörigen Opa Berger zum soliden „Karl Oswald, Textilbranche“. Und Bernd Moss greift sich einen zitronengelben Pullover, um Marias erschlagenen Geliebten Bill als Geschäftsmann im Hause Oswald wieder auferstehen zu lassen.

So, wie diese vier Schauspieler es auf die Bühne bringen, kann der peinigende Gedanke an Travestie oder Geschlechterfolklore gar nicht erst aufkommen. Denunziationsfrei, präzise und in keiner Sekunde willens, eine Figur an einen billigen Lacher zu verraten, spielen sie gleichzeitig große Komödie und tiefe Tragödie und 27 Nuancen dazwischen. Eine stimmige Regie-Idee für ein Thema, das man heute „Gender-Diskurs“ nennen würde und das Fassbinder seinerzeit auf eine Art thematisierte, hinter die Kunst wie Gesellschaft heute oft zurückfallen. Ostermeier indes ist in dieser Inszenierung auf Augenhöhe.

So steht die Rollenmodelle lässig durchkreuzende Karrierefrau Maria Braun im Fokus. Und Brigitte Hobmeier ist in dieser Rolle ein Phänomen: Wie sie es schafft, darstellerisch Hanna Schygulla zu zitieren und dabei doch etwas ganz Eigenes zu finden, lässt sich kaum befriedigend beschreiben. Das muss man einfach sehen. Punkt.

Hobmeier bildet mit dieser Rollenanlage einen veritablen Kontrapunkt zu Anne Tismer, der tollen „Nora“ aus Ostermeiers Ibsen-Inszenierung. Als Anne Tismer sich vor zweieinhalb Jahren von der Schaubühne trennte, um mit dem Ballhaus Ost ihre eigene, freie Spielstätte zu gründen, eröffnete sie dort ebenfalls mit der „Ehe der Maria Braun“ – und legte die Titelheldin in ihrer Erotik von Anfang an kaputter an als das Filmvorbild. Rotziger. Berlinischer. Und vergeblichkeitsbewusster.

Was indes Ostermeiers Münchner Inszenierung betrifft, so stellt sich natürlich die Frage, warum es dem Schaubühnenchef, der am eigenen Haus alles andere als eine zufriedenstellende Saison hatte, außerhalb offenbar so viel besser gelingt, tolle Arbeiten abzuliefern. Sind es die Schauspieler? Oder liegt es am geringeren Druck, der auf einem Gastregisseur lastet – ohne die Verantwortung für ein ganzes Haus?

Diese Fragen sind drängend. Dennoch möchte man sie ausnahmsweise auf morgen vertagen – und einfach noch ein bisschen länger beglückt sein über diesen tollen Schauspieler-Theater-Abend!

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