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Makellose Prosa. Günter de Bruyn.

© dpa

Der Schriftsteller Günter de Bruyn wird 90: Emphatisch, poetisch, preußisch

Der Schriftsteller Günter de Bruyn feiert Geburtstag – und legt mit "Sünder und Heiliger" eine Biografie über den Dichter Zacharias Werner vor.

Bewunderer hat er viele, im Osten wie im Westen und sogar jenseits der deutschen Grenzen. Ein glamouröser Literaturstar ist Günter de Bruyn, der seit sagenhaften 55 Jahren ein Leben als freier Schriftsteller führt, indes nicht. Auch wenn es für diesen grundsoliden Bildungsbürger im Lauf der Jahre reichlich Anerkennung gab – den Büchner-Preis hat er nicht bekommen. Doch auch ohne Darmstädter Weihen ist de Bruyn einer der besten deutschen Prosaautoren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, den er noch mitmachen musste, arbeitete er als Lehrer und Bibliothekar in und um Berlin, wo er am heutigen Dienstag vor 90 Jahren geboren wurde. Nebenher entstanden Hörspiele und Erzählungen. Mit seinem bald auch in der Bundesrepublik publizierten zweiten Roman „Buridans Esel“ (1968) kam der Erfolg. Noch größeres Ansehen erwarb sich de Bruyn mit der Biografie „Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter“ (1975), die auch nach der Publikationsflut im Jean-Paul-Jahr 2013 unübertroffen glanzvoll dasteht. Dieses Buch, das viel mehr ist als nur eine Problematisierung des Gebrauchswerts von Person und Werk Jean Pauls für die DDR, stellt die Grundlage dar für seine intensive Beschäftigung mit der Geistesepoche um 1800.

Die Hinwendung zum Romantischen und Regionalen hatte in der DDR enorme kulturpolitische Bedeutung. Weder de Bruyns ironische Erzählung „Märkische Forschungen“ (1978) noch seine kenntnisreichen Kommentare zu den von ihm herausgegebenen Schriften von Fouqué, Hoffmann, Tieck und zahlreichen anderen Dichtern blieben ohne Widerspruch. Zum Kernbestand der in der DDR entstandenen Literatur gehören die Romane „Preisverleihung“ (1972) und „Neue Herrlichkeit“ (1984). Günter de Bruyn war ein angesehenes Mitglied des DDR-Schriftstellerverbands und des PEN-Zentrums, und er durfte in den Westen reisen. Mit der Staatsmacht paktierte er nicht – die entwürdigende „Druckgenehmigungspraxis“ und die Unfreiheit im Lande kritisierte er mehrfach deutlich. Nach der Wende legte er dar, wie es ihm als jungem Mann ergangen war: „Zwischenbilanz. Eine Jugend in Berlin“ (1992) und „Vierzig Jahre. Ein Lebensbericht“ (1996) sind Meisterwerke der „Selberlebensbeschreibung“ (Jean Paul).

Dann aber hörte er mit dem im engeren Sinn literarischen Schreiben auf und vergrub sich ganz in seine märkischen Forschungen. Der Geschichte des einstigen Preußen widmete er sein gesamtes Spätwerk. Schon über 70 Jahre war er alt, als die „Preußische Trilogie“ erschien (Die Finckensteins / Preußens Luise / Unter den Linden). Stilistisch brillant wie eh und je, wurde eine spezielle, Zeithistorie mit Regionalgeschichte verschränkende, das Große im Kleinen sichtbar machende „poetische Heimatkunde“ zu seinem Markenzeichen.

Wie tiefgründig und reichhaltig „Als Poesie gut. Schicksale aus Berlins Kunstepoche 1786 bis 1807“ (2006) und „Die Zeit der schweren Not. Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807-1815“ (2010) wirklich sind, ist noch nicht erforscht. Zuvor hatte er eine grandiose „Liebeserklärung an eine Landschaft“ vorgelegt: „Abseits“ (2005). Darin erkundet er, emphatisch-poetisch und nüchtern zugleich, die auf den ersten Blick unspektakulär erscheinende Wald- und Wassereinsamkeit im Landkreis Oder-Spree. Um Spuren einstigen Lebens zwischen Storkow, Beeskow und Lübben geht es öfter, auch in seiner hinreißenden poetischen Skizze „Kossenblatt“ (2014), in der ein „vergessenes Königsschloss“ im Zentrum steht – erneut eine Liebeserklärung, eine sehr melancholische allerdings. Dazu kommen amüsante Episoden aus der preußischen Historie.

Das neue Werk über den romantischen Dichter Zacharias Werner (1768 bis 1823) gehört zu seinen präzise recherchierten und bestens lesbaren Biografien, die es an Lebensweisheit getrost mit dem großen Montaigne aufnehmen können. Der aus Königsberg stammende Werner war ein maß- und rastloser, innerlich zerrissener Mann, ein durch halb Europa hetzender Getriebener mit unwiderstehlichem Drang zum Küchenpersonal. Seine sexuellen Aktivitäten verbuchte er meistens unter „Mädchenprügelei“, was den dieses Thema sonst eher meidenden Biografen zu der Erklärung veranlasst: „Ein Begriff, der vermutlich nichts mit Gewaltanwendung zu tun hat, sondern sich auf die vulgäre Bezeichnung Prügel für das männliche Geschlechtsorgan bezieht.“

Die berühmte Madame de Staël immerhin hat Zacharias Werner, dessen Theaterstücke dank der Inszenierungen von August Wilhelm Iffland seit 1806 recht erfolgreich waren, ein ganzes Kapitel ihres Kultbuchs „De l’Allemagne“ gewidmet: „Seitdem Schiller tot ist und Goethe nicht mehr für das Theater schreibt, ist Werner unter den dramatischen Schriftstellern Deutschlands der Erste“, heißt es dort. Heute sind die Dramen weitgehend vergessen, ihr Urheber eigentlich auch. Günter de Bruyn aber schafft es mühelos, das Interesse neu zu entfachen.

Sicher: Wem die makellose Prosa seiner Lebensbeschreibungen ein wenig altväterlich erscheint, der liegt nicht ganz falsch. Nur dass sie ihren Gegenständen vollkommen angemessen ist. Gerade die oft kuriosen Abschweifungen in kultur- und sozialhistorische, topografische oder naturkundliche Details machen die Lektüre von Günter de Bruyns Spätwerk zu einem Exerzitium der Entschleunigung. Klaus Hübner

Günter de Bruyn: Sünder und Heiliger. Das ungewöhnliche Leben des Dichters Zacharias Werner. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M 2016. 224 S., 18,99 €.

Klaus Hübner

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