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Silbertenor. Michael Schade als Tamino in der Fortsetzung von Mozarts Oper.

© dpa

Salzburger Festspiele: Endlich Winter

Die Salzburger Festspiele entdecken „Der Zauberflöte zweyter Theil“ von 1798 neu – das Ergebnis ist ein sensationeller Operncoup.

Große Erfolge verlangen nach einer Fortsetzung. Das war im 18. Jahrhundert nicht anders als heute in Hollywood. Also schrieb Emanuel Schikaneder – Librettist, Produzent und Papageno der „Zauberflöte“ – eine Fortsetzung seines Kassenschlagers. Weil Mozart zwischenzeitlich verstorben war, engagierte der Impresario den beliebten Komponisten Peter von Winter. „Das Labyrinth oder Der Kampf mit den Elementen“ ging am 12. Juni 1798 erstmals über die Bühne von Schikaneders Theater an der Wien – natürlich mit dem verkaufsfördernden Untertitel „Der Zauberflöte zweyter Theil“. Schnell wurde die „große heroisch-komische Oper“ in anderen Städten nachgespielt, auch in Berlin. Bis 1828 erlebte sie allein in Wien 200 Vorstellungen. Dann verschwand sie vom Spielplan. Bis heute hat das Stück keiner mehr vollständig gehört.

Das originale Aufführungsmaterial galt als verschollen – bis zwei Musikwissenschaftler in der Berliner Staatsbibliothek eine Abschrift aus dem Jahr 1803 fanden, die von Schikaneder in Auftrag gegeben worden war. Seit 1992 ist die Fortsetzung der „Zauberflöte“ für den Theatergebrauch verfügbar. Unerklärlich, dass die bislang einzige Inszenierung 2002 in Chemnitz folgenlos blieb! Denn was da jetzt im Innenhof der Salzburger Residenz zu erleben ist, darf als Sensation bezeichnet werden. Drei Stunden kurzweiligsten Musiktheaters, eine beglückende, entzückende Wiederbegegnung mit dem Personal des Schwesternstücks, eine Partitur voll dramatischen Feuers, großes Zauberbrimborium. Dem neuen Intendanten Alexander Pereira ist nach einem lauen Start in seiner ersten Saison nun also doch noch ein echter coup de théâtre gelungen.

Die Handlung ist noch wüster zusammengeschustert als in Mozarts Meisterwerk: Selbstverständlich hat die Königin der Nacht den Kampf um die Macht und um ihre Tochter nicht aufgegeben. Mit Hilfe erotischer Tricks versucht sie, sowohl Pamina und Tamino als auch Papageno und Papagena auseinanderzubringen. Und die beiden Paare erweisen sich verführbarer als gedacht. Am Ende, nachdem das titelgebende unterirdische Labyrinth durchschritten und Verfolgungsjagden überstanden sind, nachdem Papageno seine Großfamilie getroffen und Tamino seinen Nebenbuhler, den König von Paphos, im Zweikampf niedergerungen hat, siegt dann doch das Patriarchat, und der Chor kann den nächtlichen Kräften entgegenschmettern: „Die Tugend trat endlich in Staub euch darnieder, / Sie machte vom Drucke des Lasters sich frei!“

15 verschiedene Bühnenbilder bot Emanuel Schikaneder 1798 auf, um sein Publikum zu verblüffen. Im Innenhof der Residenz sorgen jetzt schon die barocken Prachtfassaden für Atmosphäre, als Bühnenbild fügt Raimund Orfeo Voigt lediglich einen bespielbaren Steg rund um den Orchestergraben hinzu sowie ein kleines, klappriges Wandertheater für den ersten Akt und begnügt sich sonst mit einer von Glühbirnen übersäten, beweglichen Lamellenwand, die in allen nur erdenklichen Sonnentempel-Lichtstimmungen erstrahlen kann. Für den Zauber sind hier vor allem die Kreationen der Kostümdesignerinnen zuständig: Was für ein Feuerwerk wird da abgebrannt, von Papagenas Rock, der sie wie ein Friséesalat umwippt, über die naseweisen Knaben, die hier als wandelnde Lampenschirme auftreten, bis zum triebgesteuerten König von Paphos, der als wilder Barbarenherrscher aus dem Historienfilm erscheint. Weil es sich ja um Volkstheater handelt, spielen Susanne Bisovsky und Elisabeth Binder-Neururer geistreich mit Zitaten aus der Trachtenmode, hier eine Glitzer-Lederhose, dort Dirndl-Anleihen, kariertes Hemd samt Leggins für Papageno und ein gehäkelter Kopfschmuck für Pamina.

Alexandra Liedtke, die Gattin des Wiener Burgtheaterdirektors Matthias Hartmann, inszeniert in ihrer ersten Opernproduktion dazu ganz nah am Textbuch entlang. Was ebenso putzig wie angemessen ist, fällt man hier sowieso schon ständig von einem „Ah!“ zum nächsten „Oh!“, gibt es doch so viel zu staunen, wiederzuentdecken, zu vergleichen. Sarastro singt immer noch salbungsvoll (mit der Stimme von Christof Fischesser), schert sich aber kaum noch um seine Prinzipien. Die Sache mit der Rache kennt man in diesen heiligen Hallen jetzt sehr wohl, ja, es wird sogar eine eigene Armee aufgestellt, um die feindlichen Truppen zu zernichten.

Wenn sich die gegnerischen Parteien doppelchörig beharken, dann hat Peter von Winters Partitur ihre stärksten Momente. Dramatische Szenen kann er effektvoll befeuern, Ensembles liegen ihm überhaupt, je größer besetzt, desto besser. Wenn sich Ivor Bolton und sein Mozarteumorchester feurig ins Zeug legen, dann ist das nicht nur mitreißend, dann hört man auch, wohin sich die Gattung entwickeln will, nämlich weg von der traditionellen Arienfolge hin zum romantisch-atmosphärisch durchgestalteten Tableau.

Vor melodischen Einfällen sprudelt Peter von Winter geradezu über, den komischen Figuren schreibt er heiter tändelnde Liedchen, Glockenspiel- und Flötensoli sind mit Geschmack gestaltet. Nur was die Tiefe der Gedanken betrifft, bleibt er hinter Mozart zurück. Zwar werden viele Situationen des ersten Teils kopiert, das Papageno-Pamina-Duett beispielsweise, oder auch die Klagearie der Königstochter, doch psychologische Porträts, bewegende Momente der Innenschau entstehen dabei kaum. So tief wie Mozart hat eben kein Opernkomponist seinen Protagonisten ins Herz geschaut.

Dafür dürfen die Sänger technisch glänzen: Gleich zwei Koloratursoprane verlangt das „Labyrinth“, neben Julia Novikovas revuehafter Königin der Nacht muss auch Malin Hartelius als strahleäugige Pamina mächtig durch die Oktaven sausen. Heldischer als im Original ist auch der Tamino angelegt, den Michael Schade mit seinem Silbertenor singt – und dabei so überschäumend spielfreudig agiert, dass man mehr als einmal an Willy Millowitsch denken muss. Monostatos ist vom Tenor zum Bariton mutiert (schön schwarzstimmig: Klaus Kuttler), die gefiederte Familienbande mit Vater und Mutter, Papageno samt 14 Geschwistern räumt natürlich mächtig ab, vokal wie darstellerisch angeführt von Regula Mühlemann und Thomas Tatzl. Und wenn das vom Stichwortgeber zum Mitspieler aufgewertete Sarastrogefolge so klangprächtig und lebensprall auftritt wird wie hier der Salzburger Bachchor, dann steht der Zweitkarriere dieser Zweitverwertung landauf, landab nichts mehr im Wege!

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