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Hannah Arendt (Barbara Sukowa) 1961 im Presseraum des Eichmann-Prozesses, Jerusalem.

© heimatfilm

"Hannah Arendt", der Film: Erotik des Disputs

Die Einsamkeit des Denkens und die Erotik des Disputs: Regisseurin Margarethe von Trotta schafft in "Hannah Arendt" Bilderräume dafür.

Sie sitzt in Jerusalem im Presseraum, raucht Kette, fixiert den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann in seinem Glaskasten, konzentriert, konsterniert. Barbara Sukowa als Hannah Arendt: Jüdin, Emigrantin, eine spröde Frau mit kantig deutschem Akzent – und mit unwiderstehlicher Streitlust.

Sie sitzt zu Hause in New York am Riverside Drive, diskutiert mit ihrem Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg), mit den Kollegen, zum Beispiel mit Hans Jonas (Ulrich Noethen), mit der engsten Freundin, der Schriftstellerin Mary McCarthy (Janet McTeer). Sie steht im Hörsaal, spricht über Totalitarismus und zündet sich ihre rituelle Vorlesungszigarette an. Sie sitzt am Sterbebett ihres väterlichen Freunds Kurt Blumenfeld (Martin Degen), er sagt: „Diesmal bist du zu weit gegangen“ und wendet sich ab. In den USA wie in Israel tobt ein Sturm der Entrüstung, weil die Philosophin nicht Eichmanns Monströsität beschreibt, sondern seine Gedankenlosigkeit. Das war Anfang der 60er Jahre.

Heute weiß man, Eichmann war ein glühender Antisemit, aber Arendts berühmtes Buch über „Eichmann in Jerusalem“ und die Unfähigkeit des Bürokraten, für sein Handeln Verantwortung zu übernehmen, bleibt dennoch gültig.Auf Arendts Schreibtisch am Riverside Drive häufen sich die Leserbriefe. Lotte Köhler (Julia Jentsch), ihre Assistentin, sortiert die Schmähungen und Morddrohungen auf einem Extra-Stapel. Arendt will sie alle beantworten.

Hannah Arendt (1906 bis 1975) und ihre Darstellerin in Margarethe von Trottas Film, Barbara Sukowa.
Hannah Arendt (1906 bis 1975) und ihre Darstellerin in Margarethe von Trottas Film, Barbara Sukowa.

© dpa

Die Einsamkeit des Denkens hatte Martin Heidegger (Klaus Pohl) der attraktiven Studentin und Geliebten einst in Deutschland vorhergesagt. Aber da ist auch die Erotik des Denkens. Für beides hat Margarethe von Trotta in „Hannah Arendt“ Räume geschaffen, einen konventionellen, aber nach gründlichen Recherchen konstruierten Kinoraum für die Lust am

Disput wie für die Anfeindungen. Auch wenn die Rückblenden zur Heidegger-Affaire ungelenk geraten sind und die - erfundene - Szene, in der der Mossad die Autorin bedroht, fragwürdig bleibt: "Hannah Arendt" ist die bewegende Annäherung an eine Frau, die sich das Denken ohne Geländer leistete, die Freiheit des Geistes, die gründliche Analyse, stur, skrupulös, leidenschaftlich.

"Hannah Arendt", D/F/Israel/Luxemburg, OmEU, 110 M. R: Margarethe von Trotta, D: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Martin Degen

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