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Kultur: Erst Sorge, jetzt Streit

„Khodorkovsky“: Russen kritisieren Berlinale-Film

Die Nervosität um Cyril Tuschis Dokumentarfilm „Khodorkovsky“, der am kommenden Montag auf der Berlinale Premiere feiern wird, nimmt zu. Nachdem am Wochenende der Einbruch in den Berliner Produktionsräumen des Regisseurs bekannt wurde – mehrere Speichermedien mit wertvollem Filmmaterial wurden gestohlen –, sorgen nun Echos aus Russland für Unruhe. Nach der Veröffentlichung eines Interviews, das Tuschi am 31. Januar der Zeitschrift „Wlast“ gegeben hat, befürchten Chodorkowski-Getreue, der „mehrdeutige“ Film könne dem inhaftierten Putin-Gegner schaden. Auch vermutet die konservativ-liberale Tageszeitung „Kommersant“, die „andere Seite“, also: die Staatsanwaltschaft, könne an den 180 Stunden Filmmaterial Interesse haben – im Vorfeld eines möglichen dritten Prozesses gegen Chodorkowski.

Im „Wlast“-Interview sagte Tuschi: „Natürlich ist Chodorkowski für mich interessant, obwohl er das ist, wovor meine Eltern mich immer gewarnt haben: ein Neoliberaler, ein Kapitalist.“ Und: „Sein Ziel ist es, frei zu kommen. Für diesen Zweck werden Sie alles tun, vielleicht auch die Wahrheit etwas korrigieren, oder?“ Unterdessen hat Chodorkowskis frühere Ehefrau Elena, so meldet die „Süddeutsche Zeitung“, das „Wlast“-Interview Tuschis als „Fehler“ bezeichnet.

Noch vor acht Jahren galt Michail Chodorkowski, Chef des Ölkonzerns Yukos, als der reichste Mann der Welt unter 40. Heute ist der 47-Jährige der schärfste Gegner Wladimir Putins und der wohl prominenteste politische Gefangene der Welt: 2003 auf dem Rückflug aus den USA festgenommen und mit der Begründung, er habe Steuern hinterzogen, zunächst acht Jahre in Haft, wurde er erst vor wenigen Wochen in Moskau zu einer weiteren Freiheitsstrafe bis 2017 verurteilt. In einem Interview, das er unlängst vier großen europäischen Zeitungen gab, sagte Chodorkowski, Putin wolle ihn lebenslang hinter Gittern halten.

Cyril Tuschis erster Dokumentarfilm – bislang ist der 42-Jährige nur mit dem Spielfilm „SommerHundeSöhne“ hervorgetreten – zeichnet Chodorkowskis Weg vom Aufstieg zum Wirtschaftsboss in den Jelzin-Jahren bis zu seiner Haft in Sibirien anhand von Interviews mit Familienangehörigen und Weggefährten, aber auch mit nachgestellten ZeichentrickSpielszenen nach. Vor allem die Interviews mit ehemaligen Yukos-Managern, die heute im Exil etwa in London oder in Israel leben, könnten sowohl Chodorkowski als auch Tuschis Gesprächspartnern gefährlich werden. Tatsächlich hat Tuschi aus seinem Material einen Film geschnitten, der in seiner kommentarlosen Sammlung mitunter als Plädoyer ebenso für wie gegen Chodorkowski verstanden werden kann.

Zweifellos ist es verdienstvoll, dass überhaupt ein Dokumentarfilm das Schicksal der schillerndsten Figur der nachsowjetischen Ära Russlands zum Thema macht. Aus den Gesprächen mit Ex-Managern und älteren sowie jungen Oppositionellen wird deutlich, dass Chodorkowski ein Hoffnungsträger für die Zeit nach Putin bleibt. Doch der Recherche-Impuls des Filmemachers, der in Deutschland in einer russischstämmigen Familie aufwuchs, bleibt undeutlich. Unkommentiert beten junge Leute die Propaganda-Sprachregelung des Kremls nach, Chodorkowski habe „Russland bestohlen“, und in den animierten Filmsequenzen benutzt Tuschi eine zweideutige Bildsprache. So schwimmt Chodorkowski, Sohn eines Juden, wiederholt durch einen Pool voller Goldstücke.

Chodorkowski selbst, das ist der spektakulärste Augenblick des Films, kommt in einem kurzen Interview im Moskauer Gerichtssaal zu Wort. Ein kluger Mann finde in schwieriger Lage immer eine Lösung, sagt er in seinem Glaskasten, ein weiser Mann hingegen begebe sich erst gar nicht hinein. So gesehen, sei er 2003 vor der Rückkehr nach Russland wohl noch nicht weise genug gewesen. Und sein stetes Lächeln erstirbt, als ein Wärter ruft, die Zeit sei abgelaufen. Es ist der funkelnde Blick eines Menschen in Gefangenschaft, der da aufleuchtet, kurz und sehr finster. Jan Schulz-Ojala

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