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Die Violinistin Lisa Batiashvili

© Sammy Hart / Philharmonie

Berliner Philharmoniker unter Alan Gilbert: Ertrinken im Moment

Ein langer, spannender Abend: Die Berliner Philharmoniker spielen unter Alan Gilbert, mit der Solistin Lisa Batiashvili.

Es ist eines dieser Konzerte, die lang werden, weil so viel Interessantes geschieht: Die Philharmoniker unter Alan Gilbert spielen als erstes „Metacosmos“ von Anna Thorvaldsdottir, eine federleichte Person, die sich nach der Aufführung mit energischen Verbeugungen für die Ovationen bedanken wird. Ihr jüngstes Werk klingt nach Ambient-Musik und Instrumentations-Experiment, einem fernen Weltgebäude, in dem es nicht um Themen oder Melodien, sondern um das Aufblättern von Farben und Registern geht.

Tief dröhnende Liegeklänge, ein Inerscheinungtreten hellerer Instrumente, Mikrostrudel, Miniaturbewegungen – schon denkt man an die Heimat der Komponistin, die ihr Handwerk indessen nicht nur in Reykjavík, sondern auch in Kalifornien erlernte. Dann gerät die Sache ins Stottern wie ein absaufender Motor (Geigen jaulen, bei den Bläsern wird geächzt), um sich wieder zu fangen, zum Crescendo bei starker Beschleunigung. Zuletzt, nicht unerwartet, ein Neues Jerusalem, das alte, schöne Lied der überwundenen Krise, und in den finalen Sekunden lässt Daishin Kashimotos seine Geige wie einen Kometen verglühen.

Das häusliche Leben gerät ganz schön grob

Wer mag, erkennt in dieser Musik eine Verwandtschaft zum anderen Außenstück des Programms, Richard Strauss’ „Symphonia domestica“. Hier wie dort ist Absicht zu merken, hier wie dort wird man davon nicht verstimmt. Allerdings stellen sich bei Strauss kompliziertere Fragen: Wie unverfroren ist es, ein quäkendes Baby, die sanft schlagende Wohnzimmeruhr oder die „Klimax in den Gemächern der jungen Eheleute“ (wie es im Programmheft heißt) im ehrwürdigen Format der symphonischen Dichtung darzustellen? Wie umgehen mit Musik auf der Kante zwischen Plumpheit und Raffinesse? Die Sache wird nicht leichter dadurch, dass meisterliche Kräfte am Pult gefordert sind, um das Riesenorchester mit gleich mehreren solistisch konzipierten Instrumenten zu organisieren und zwischen Ironie und Emphase, Malerei und Abstraktion zu vermitteln.

Gilbert hat diese Kräfte. Er nutzt sie aber auch. Soll heißen: Das häusliche Leben gerät an diesem Abend ganz schön grob. Früh entscheidet man sich dafür, das Werk nicht auf-, sondern vorzuführen, früh kommt es zu unangemessenen Lautstärken und einem Ertrinken im Moment. Strauss selbst sah das womöglich so vor. Oboe und Englischhorn setzt er noch ein, als ob er Gewöhnliches im Schilde führte, mit dem lustig stochernden Schellenring hingegen oder den scharfen Blechpassagen zum Schluss schuf er geradezu Entstellungen des Symphonischen. Bleibt der Mittelteil des Abends, denn tatsächlich, er ist lang: Lisa Batiashvili spielt Prokofjews zweites Violinkonzert. Sehr virtuos, zugleich finster säbelnd, wie es zumal der erste Satz verlangt. Und mit einem bezaubernden „Andante assai“, in das Klarinetten, Bratschen und Celli einen wunderbaren Groove mischen.

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