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Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein bei der Berlinale.

© Thilo Rückeis

Harald Martenstein (2): Es geht auch ohne Schnaps

Die Berlinale 2011 sei die wohl düsterste aller Zeiten, heißt es. Ganz so schlimm kann es nicht sein, findet Harald Martenstein. Denn jeder Film braucht einen Konflikt, ein Problem.

Manche Filme sind für Journalisten schon vorab zu sehen gewesen, vor allem die aus dem Forum und dem Panorama. Sonst könnten die Kollegen von den Stadtmagazinen ihre Berlinale-Hefte nicht produzieren. Ich stand also in der Schlange zu „True Grit“ und hörte von kundiger Seite, dass diese Berlinale wahrscheinlich die düsterste Berlinale aller Zeiten sei. Vielleicht sogar das düsterste Kulturereignis, welches überhaupt jemals stattgefunden hat. Nach jedem einzelnen Film würde man am liebsten Selbstmord begehen. Deshalb sollte man wohl vor und nach jedem Film einen Schnaps trinken, oder, falls man auf dem Gesundheitstrip ist, einen Joint rauchen. „True Grit“, in dem ein Mädchen den Mörder ihres Vaters sucht und ihr ein Arm mit dem Taschenmesser abgeschnitten wird, sei der bei Weitem lustigste Film der nächsten Tage. Er war wirklich lustig.

Eine Kollegin erzählte von einem Film, in dem ein Mann auf dem Sofa liegt, während Frauen auf ihm herumkriechen und ihm Mitesser ausdrücken. Ich sagte: „Das kann man doch total witzig inszenieren. So schlimm sind Mitesser auch wieder nicht, außer diese ganz fetten, wo oben Eiter rausläuft.“ Die Kollegin sagte, währenddessen laufe gerade ein Klo über, der Kloinhalt, flüssig mit Bröckchen, schwappt, falls ich sie richtig verstanden habe, an den Füßen des Mannes herum.

„Na ja“, sagte ich, „jeder Film braucht einen Konflikt, ein Problem. Dieser Mann hat eindeutig ein Problem. Das ist doch spannend. In der Scheiße sitzen, eine klassische Metapher. Wie geht es weiter?“ Die Kollegin sagte, „Der Sohn begeht Selbstmord, indem er sich in einem Kühlschrank einschließt, und die Tochter, die zum ersten Mal ihre Regel hat, bekommt von der Mutter eine blutige Binde unter die Nase gehalten.“ Der Film heiße „HaDikduk HaPnimi“ und laufe demnächst im Kinderfilmfestival, das seit einiger Zeit „Kplus“ heißt, K wie Klo, wie Kaka und wie totes Kind im Kühlschrank. Bei den Chinesen müssen Kinder fünf Stunden am Tag Geige üben, bei den Deutschen müssen sie sich gesellschaftskritische Filme mit blutigen Damenbinden und Mitessern anschauen. Kindheit ist kein Zuckerschlecken. Zumal sie dich nach dem Film nicht mal einen Schnaps trinken lassen.

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