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Gegen Rassismus. In Deutschland gegen nach dem Tod von George Floyd Weiße und Schwarze gemeinsam auf die Straße.

© Christoph Schmidt/dpa

Der große Unterschied: Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße

Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd wird wieder die Mär vom Rassismus gegen Weiße fortgeschrieben. Das muss aufhören. Ein Kommentar.

Der von einem weißen Polizisten ermordete Schwarze George Floyd war noch nicht beigesetzt, da fühlte sich André Neumann, Oberbürgermeister der thüringischen Stadt Altenburg, bemüßigt, seine Gedanken im Internet zu teilen. „Die letzten Tage auf Twitter kann man sehr gut beobachten, wie Schwarze den Rassismus von Weißen gegenüber Schwarzen nutzen, um gegen Weiße rassistisch zu sein.“

Zwar entschuldigte er sich kurz darauf für den Tweet und nominierte sich "selbst für den dämlichsten und unpassendsten Tweet des Jahres 2020". Doch seine Aussage steht stellvertretend für eine verharmlosende, verwässernde Verwendung des Begriffs Rassismus.

Wir müssen alle Leben schützen

Nachdem die Bewegung „Black Lives Matter“ hohe mediale Aufmerksamkeit bekommen hatte, tauchte als Reaktion vermehrt der Hashtag #AllLivesMatter auf. Dahinter steht die Aussage: Wir müssen alle Leben schützen. Polizisten ebenso wie Aktivisten. Weiße ebenso wie Schwarze.

Was intuitiv richtig klingt: dass derzeit alle Leben vergleichbar bedroht sind. Dem ist aber nicht so. Schwarze haben in den USA ein beinahe dreifach so hohes Risiko, von der Polizei getötet zu werden, wie Weiße. Die Aktivisten von „Black Lives Matter“ wiesen darauf hin, der Slogan bedeute nicht, dass andere Leben unwichtiger seien – sondern dass es wichtig sei, die Wertlosigkeit schwarzen Lebens unter einer weißen Vorherrschaft zu beenden. Trotzdem glauben immer noch viele, grundsätzlich könne heute jede Person von Rassismus betroffen sein.

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Natürlich könnte es auch Rassismus gegen Weiße geben. Aber dafür müsste man Jahrhunderte der Sklaverei und Kolonialgeschichte rückgängig machen. Der Rassismus, den wir heute in den USA und anderen weißen Mehrheitsgesellschaften erleben, ist eine Erfindung von Weißen.

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Die menschenverachtende Farbenlehre entstand mit der europäischen Unterwerfung der Welt. Eine Ideologie, einzig dafür geschaffen, um die Macht von Weißen über Nichtweiße zu rechtfertigen. Wenn Weiße sich als Opfer von Rassismus stilisieren, betreiben sie Geschichtsrevisionismus.

Die Mär vom „umgekehrten Rassismus“ vertreten nicht nur Nazis und Rechtspopulisten. So forderte die Deutsche Botschaft während der Coronakrise alle Bundesbürger in Kamerun dazu auf, sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zu bewegen – mit dem Hinweis auf „rassistische Ressentiments innerhalb der Bevölkerung, die die Sicherheit unserer Landsleute beeinträchtigen“.

Auch seriöse deutsche Medien sprechen im Bezug auf Südafrika von einem „umgekehrten Rassismus“, der die weiße Minderheitsbevölkerung nun offen diskriminiere.

Vorurteile gegenüber Weißen gibt es, klar

Sicher, es gibt auch Vorurteile gegenüber Weißen. Feindseligkeit und Übergriffe. Doch Rassismus ist mehr als die Beschimpfung als „deutsche Kartoffel“ oder „Weißbrot“. Weiße können durchaus die Erfahrung machen, als Minderheit benachteiligt zu werden.

Aber es geht nicht um isolierte Handlungen, sondern um die Berücksichtigung der dahinterliegenden Machtstrukturen. Und das bedeutet etwa in Kamerun oder Südafrika, die kolonialistische Vergangenheit und den Apartheidstaat mitzudenken. In den USA und in Deutschland haben People of Color nicht die Macht, die Interessen der weißen, hegemonialen Mehrheitsgesellschaft zu dominieren.

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Auch weiße Menschen können dort in äußerst schlechte Lebensbedingungen hineingeboren werden. Selbstverständlich können sie unter Mobbing leiden und von struktureller Diskriminierung wie Antisemitismus, Sexismus, Homophobie oder sozialer Ausgrenzung betroffen sein.

Aber nicht von Rassismus. Diese Demut sollten Weiße jetzt haben. Privilegien zu besitzen heißt nicht, dass der eigene persönliche Schmerz keine Legitimität hat. Und es heißt nicht, dass das eigene Leben nicht hart sein kann. Aber es bedeutet eben auch, dass dieses Leben wegen der eigenen Hautfarbe nicht noch härter ist.

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