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Meisterin mäandernder Redeflüsse. Popette Betancor.

© Kai-Uwe Heinrich

Porträt: Ewigkeit, mit Troddeln dran

Knalltütenheiterkeit trifft melancholischen Kammerpop: Die Berliner Multiinstrumentalistin Popette Betancor stellt ihr neues Album „Kein Island“ vor.

Eine „Sehnsuchtsplatte“ nennt Susanne Betancor ihr jüngstes Album. Sie sitzt im Nebenzimmer eines Cafés in ihrem Kreuzberger Kiez, im Rücken eine ornamentbefallene Tapete, über ihr eine Lampe, die an Design erkrankt ist, und lächelt in die morgendliche Leere. Schönes Betancor- Ambiente. Hier könnte sie wahrscheinlich eines dieser Lieder schreiben, die so klingen, als würde jemand um fünf Uhr früh einen Cocktail aus Weltschmerz und Hochprozentigem mixen und ein Ironie- schirmchen reinstecken.

Das Wort Sehnsucht zählte bislang nicht unbedingt zu ihrem Stammvokabular, aber jetzt passt es mal. Wobei die Betonung, wie sich bei einer passionierten Melancholikerin denken lässt, auf der Nichterfüllbarkeit liegt. Ein Verlangen „nach Menschen, die es nicht gibt, nach Orten, die man nicht kennt“. So wie Island. Da war die Betancor noch nie, aber das Land ist ihr sympathisch, weil „keiner mehr Geld hat und Künstler an der Macht sind“, in Reykjavik regiert ja unter anderem der Sänger der Punkband Sugarcubes mit. Also heißt ihre Platte jetzt kurz und gut „Kein Island“.

Es sind fünf Jahre vergangen seit der letzten Veröffentlichung. Das war die Platte „Hispanoid“, auf der die Berliner Halbspanierin mit Migrationshintergrund aus dem Ruhrgebiet ihre jazzigen Kompositionen in zwei Sprachen besungen hat. „Polytonalen Kammerpop“ nennt sie selbst, was sie macht, das Finden treffender Bezeichnungen darf man nicht den Amateuren überlassen. Das gilt auch dem Beruf, den sie sich gewählt hat: Popette. Abgeleitet von Chansonette, nur eben griffiger. Warum also die lange Pause? „Weil ich zweifle“, sagt sie und schaut halb ernst, halb verschmitzt. „Ich habe den Sinn nicht gesehen. Das wäre eine mögliche Erklärung“.

Die Multiinstrumentalistin Betancor hat eine Zeitlang hauptsächlich bildende Kunst gemacht, so ist das eben, wenn man mit zu vielen Talenten auf einmal geboren wurde. Vor drei Jahren hatte sie eine eintätige Ausstellung im Ballhaus Ost unter dem Titel „Unbekannte Plagiate“. Wobei sie betont: „Die Musik verliere ich nie aus den Augen, nur das Plattenmachen.“ Stimmt natürlich, sie ist immer fleißig aufgetreten, mit ihrer Betancor-Band, daneben hat sie Songfeste organisiert und ihre Reihe „Betancor stellt vor“ im BKA-Theater gepflegt, außerdem komponiert und textet sie für ausgesuchte Kollegen wie Cora Frost oder Max Raabe.

Aber was jetzt den Ausschlag gegeben hat, sich doch zurück ins Heimstudio zu wagen, das war die lang geplante und jüngst vollzogene Gründung der „Kreativplattform Kurtbüro“, zusammen mit ihrer Partnerin Susanne Benedek. Das Kurtbüro ist ein Label, vielleicht wird es auch noch ein Verlag, man muss ja weiter am Gesamtkunstwerk arbeiten. Vor allem ist es ein weiterer Schritt in Richtung jener Autonomie, die Betancor als „angenehmen Zustand“ schätzt. Sich in den „Besitz der Produktionsmittel“ zu bringen, wie sie das nennt, ist da nur konsequent.

„Kein Island“, das Kurtbüro-Debüt, ist ein Herzensprojekt, in jeder Hinsicht. Betancor huldigt damit ihrer Lieblingsepoche, der Romantik, in der alles zusammenfiel, wofür sie entflammt ist: „Ironie und Melancholie, Gesellschaftskritik, der Drang zur Nutzlosigkeit, das Gebrochene“. Dafür hat sie die Form der Ballade gewählt, die sie schon liebte, als sie noch Jazz-Saxofonistin war: „Langsam spielen, nicht nach Tönen bezahlt werden, einfach Singen mit dem Instrument“. Und in den Texten der zwölf Lieder reitet sie nach eigener Sicht ihr Steckenpferd, den „Auto- Voyeurismus, die Selbstausspähung“, wobei es wie immer eine hoch private Betrachtung im Spiegel der Gesellschaft ist.

Die Popette gilt als Meisterin der absurd mäandernden Redeflüsse, die pointiert sind, aber keine Pointe brauchen. Als virtuose Beobachterin eines Alltags, dessen Aussehen sie mal als „beige, mit Troddeln dran“, beschrieben hat. Was natürlich richtig ist: dass sie über Magerquark und Leergut singen kann wie andere über Sonnenuntergänge und Bergseen.

„Mitten durch“ heißt der erste Song auf „Kein Island“, eine Radfahrt durchs politisch ratlose Berlin, mitten durch die Mittelschicht. Er mündet in die schöne Zeile: „Und am Küchentisch, aus voller Brunst, sinkt die FDP in der Wählergunst.“ Sie hatte beim Schreiben Guido Westerwelle im Ohr, „da stand er noch nicht am Rand, als Außenminister“, erzählt sie. Und dass sie sich das Parteiisch-Konkrete schon gestatte, wenn ihr ein Satz gefalle. „Ansonsten liebe ich das Unspezifische, sowohl, was die Geschlechter anbelangt, als auch die Politik“. Anders gesagt, mit Zwinkern freilich: „Ich schreibe und komponiere für die Ewigkeit. Hoffe ich“.

Man ist geneigt, ihr zuzustimmen. Es ist ein bestürmend schönes Album geworden, wundervoll changierend zwischen Melancholie und Knalltütenheiterkeit, um einen Betancor-Begriff zu leihen, in seinen Tempi- und Temperamentwechseln so ausgefeilt, dass man wirklich nicht überrascht ist, wenn die Künstlerin erzählt, sie habe jahrelang hauptberuflich Musik gehört und mehr davon im Kopf als auf einen großen iPod passe.

Vor allem aber ist „Kein Island“ die ultimative Entziehungskur gegen den Beschleunigungsfuror und andere Zeitgeisteskrankheiten. „Faul und feige“ heißt der Song, in dem sie die „Twitterbloggerbürger“ und „Drei-Mal-im-Monat-Mobiltarifwechsler“ bespöttelt und uns allen die Faulheit als Rettung preist. Mut zur Nichtteilnahme, das ist das Motto hier. Ein Lied wie „Fallobst“ ruft das Reifen bis zum Modern als modern aus, und „Öfter mal vom Boden essen“ – das Video dazu entstand in Betancors Stammapotheke - ist ihre „Hymne an die Kopfkrankheit“, wie sie das nennt: „Jemand randaliert in meinem Gehirn, räumt ständig um, verkabelt neu, schickt mich zum Kopieren“. Gegen die Zumutungen der Effizienzfetischisten vor dem Fenster setzt die Popette ihre Anleitung zum Liegenlernen. Ihre ureigene Rückzugs- und Retro-Romantik: „Der Mond steht heut als Sichel, am Himmel hängt er rum. Ich sitz am Tisch und pichel.“ Was ist Matthias Claudius dagegen?

Die Betancor sagt, sie habe so einen eingebauten Verweigerungsmechanismus. Der setzt zum Beispiel ein – ähnlich wie bei ihrem guten Freund Helge Schneider –, wenn sie auf die Entertainerin reduziert werden soll. Oder noch schlimmer: die Komikerin. Das verträgt sich nicht mit dem Anspruch ihrer Musik. Und nicht mit einem Leben, das für sie den Reiz aus Ambivalenzen und Brüchen gewinnt. Aus unerfüllten Sehnsüchten und der Selbstverständlichkeit des Scheiterns.

Eher beiläufig erzählt Betancor, dass sie schon lange vorhat, mal wieder einen Roman zu schreiben. Aber sie kommt nicht dazu, schade. Andererseits: Was soll’s. „Ich hab’s nicht eilig“, sagt sie.

„Kein Island“ erscheint bei Kurtmusik/Popappeal. Konzerte: 27.1., 20 Uhr, BKA- Theater und 31.3., 20.15 Uhr, Maxim-Gorki- Theater

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