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Kultur: Fantasy Filmfest: Schrei ruhig, es hilft nichts

Horrorfilme gehen uns an die Nieren. Weil ihre Helden oft ganz normale Menschen sind, die durch irgendein Ereignis in eine außergewöhnliche Situation geraten.

Horrorfilme gehen uns an die Nieren. Weil ihre Helden oft ganz normale Menschen sind, die durch irgendein Ereignis in eine außergewöhnliche Situation geraten. Horror wird alltäglich, allgegenwärtig: Eine Lawine, ein unvorhergesehener Schneesturm und schon sitzen zwei Männer in einer ausweglosen Lage. Der eine ist verletzt und kann sich nicht bewegen, der andere verbirgt seinen Lebensmittelvorrat vor dem Freund - um selbst zu überleben. Als der Verletzte entkräftet stirbt, begräbt ihn der andere im Schnee. Doch: Jeden Morgen liegt der Körper des Toten neben ihm im Zelt. Mit diesem grausigen Szenarium beginnt der japanische Episodenfilm "Tales of the Unusual", der beim diesjährigen Fantasy Filmfest zu sehen ist. Durch seinen Episoden-Charakter, durch seine Heterogenität spiegelt der Film auf besondere Weise das gesamte Angebot eines Festivals wider, das bereits zum 15. Mal den Angriff auf unsere Nerven startet: Es vereint Gruseliges und Phantastisches, Fantasy und Science Fiction, ohne sich davor zu scheuen, auch mal richtig kitschig zu sein.

Obwohl das Fantasy Filmfest traditionell in den kinoschwachen Monaten Juli und August auf Tour durch sechs deutsche Großstädte geht, wächst seine Fangemeinde kontinuierlich: 110 000 Karten wurden im letzten Jahr verkauft, und in München, wo das Festival vor zwei Wochen zu Ende ging, kamen noch einmal 20 Prozent mehr ins Kino als im Vorjahr. Und das, obwohl sich im Jahr vier nach "Scream" die kassenträchtige Welle der Teenie-Horror-Komödien totgelaufen hat: "Die Filme sind wieder ernster geworden - und sie nehmen sich auch selbst wieder ernst", sagt Rainer Stefan, Organisator und Gründer des Festivals.

Zum Beispiel der klassische Horrorfilm "Jeepers Creepers" von Victor Salva: Eine packende Geschichte um zwei Geschwister, die auf dem Weg nach Hause, irgendwo auf dem amerikanischen Land in den sprichwörtlichen Schlund der Hölle geraten - eine Art "Hänsel und Gretel on the road" (Hans Schifferle). Oder der Thriller "The Gift" von Grusel-Routinier Sam Raimi (Drehbuch: Billy Bob Thornton): Eine Frau mit Sehergaben (Cate Blanchett) wird in einem Mordfall von der Polizei um Hilfe gebeten und gerät selbst in die Schusslinie des Killers. Die schön gruselig vernebelten Südstaaten-Sümpfe verbergen nicht nur eine Leiche, sie dienen Raimi zugleich als - ernst gemeinte - Allegorie auf den degenerierten Zustand der Gesellschaft: Hier herrschen Sex, Gewalt und Rednecks. Die einzigen, die noch durchblicken, sind diejenigen mit übersinnlichen Fähigkeiten.

Der Rückgriff auf die klassische Geschichte bedeutet jedoch für ein Subgenre des Phantastischen zwangsläufig das Ende: Das Splatter-Movie ist tot. Seitdem selbst in Hollywood-Filmen wie "Starship Troopers" Gliedmaßen in hohem Bogen über die Leinwand fliegen, bleibt für die blutig-spielerische Avantgarde des Horrorfilms keine Nische mehr. Die diesjährige Hommage an Brian Yuzna, einem ausgewiesenen Experten für eklige Fälle ("Re-Animator"), klingt daher wie ein Nachruf auf das Splatter-Kino: Kettensägen und Massaker - für immer ade?

Nicht ganz: Bei Olaf Ittenbach gehören Maskenbildner noch immer zum wichtigsten Bestandteil der Crew. Seine Splatterfiesta "Legion of the Dead" ist einer von drei deutschen Beiträgen im Festival - so viele wie noch nie, sagt Rainer Stefan. Trotzdem ist der deutsche Film bei insgesamt 59 langen und 17 kurzen Filmen doch eher schwach vertreten - hierzulande tue man sich einfach schwer mit dem Genre, meint Stefan. Im Gegensatz zu den asiatischen Ländern: Mit einem Schwerpunkt richtet das Filmfest seine Aufmerksamkeit auf den zur Zeit spannendsten Film-Kontinent. Aber auch hier reicht die Bandbreite von Hongkong-Action ("Time and Tide") aus der Hand von Tsui Harkbis zur brutalen japanischen Dekonstruktion der Familie ("Visitor Q" von Miike Takeshi).

Eröffnet wird das Festival am Mittwochabend mit der französischen Mega-Produktion "Der Pakt der Wölfe", für den sich Christophe Gans fast beliebig aus den Farbtöpfen der Filmstile bedient hat: Eine wilde Collage aus Monster- und Historienfilm, rasant erzählt mit Elementen der Martial-Arts-Filme und des Italo-Westerns. Insofern ist der Film symptomatisch für die Vielfalt des Fantasy Filmfests. Eines jedoch ist den Filmen gemein: Sie handeln vom Absonderlichen und Absurden, vom Unheimlichen und dem Abgründigen in der Realität. Die Geschichte über die zwei Männer in dem abgeschiedenen Zelt in den eisigen Bergen endet übrigens so: Um der unheimlichen Sache auf den Grund zu gehen, filmt sich der Überlebende im Schlaf. Am nächsten Morgen sieht er auf dem Monitor seiner Videokamera die Lösung der geheimnisvollen Rückkehr des Toten: Er selbst ist es, der nachts die Leiche seines Freundes ausgräbt und zurück ins Zelt trägt. Der wahre Horror ist eben nicht das Unnatürliche - er steckt meistens in uns selbst.

Nils Meyer

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