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Eine alleinerziehende Mutter, eine Frau, die sich nach Romantik sehnt: Susana Abdulmajid als Maryam in "Jibril".

© MissingFilms

Im Kino: der Berlin-Film "Jibril": Fass! Mich! An!

Wie ist es, sich in einen Häftling zu verlieben? Henrika Kulls erstaunliches Spielfilmdebüt „Jibril“.

Sie guckt gerne Soaps im Dunkeln, arabische Herz-Schmerz-Serien. Sie lebt alleine in einer vollgestopften Berliner Altbauwohnung mit ihren drei kleinen Töchtern; der Arbeitskollege würde gern mit ihr ausgehen, aber Maryam (Susana Abdulmajid) hat einen anderen im Sinn. Eigentlich kennt sie ihn gar nicht, sie hat ihn nur einmal kurz auf einer Hochzeit gesehen.

Ein Spiel mit Blicken, ein hinreißendes Lächeln, ein kaum merklicher Flirt – und jetzt sieht sie ihn zufällig wieder, als sie im Gefängnis das Paket einer Freundin abgibt. Jibril (Malik Adan) sitzt hinter Gittern, drei Jahre hat er, warum auch immer. Er macht Push-ups in der Zelle, lässt sich als Schlosser ausbilden und tauscht heimlich Textnachrichten mit Maryam aus, die ihn jetzt regelmäßig besucht. Handys sind hier eigentlich verboten.

Ist es Liebe? Vor allem ist es Sehnsucht, fast eine fixe Idee, verstellt vom Gefängnisalltag mit seinen rüden Sitten und dem vielen Alleinsein, aber auch vom zermürbenden Alltag der irakisch-stämmigen, geschiedenen Mutter mit ihren temperamentvollen, liebenswert nervigen Kids, den netten Nachbarinnen und der eigenen Mutter, die auch noch versorgt sein will. Maryam und Jibril, das bedeutet Herz-Schmerz zwischendrin, unter grauem Berliner Himmel. Schminken im Rückspiegel, Haare stylen mit Leitungswasser: Die beiden sehen sich nur einmal im Monat. Sie bringt Schokolade mit, er hält sie an den Händen, sie sind verlegen, sie reden kaum. Als Jibril seinen Freigang verbockt – die Wärter finden das Handy, er rastet aus – , kann er es ihr nicht erzählen.

Henrika Kull, Regie-Absolventin der Filmuniversität Babelsberg lebt selber in Neukölln. Frauen, die mit Gefängnisinsassen liiert sind, kennt sie von der Arbeit an ihrem Dokumentarfilm „Absently Present“ von 2015. „Jibril“ ist ihr Abschlussfilm, ein kleines, erstaunliches Lowbudget-Spielfilmdebüt, das 2018 im Panorama der Berlinale Premiere feierte und inzwischen auf gut 20 Festivals lief.

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Die Handkamera (Carolina Steinbrecher) sucht die Nähe zu den Gesichtern, nervös und gierig, zu den Selbsterkundungen und -berührungen vor dem Spiegel, zuhause im Bad oder zuhause in der Zelle. Henrika Kull erzählt die Geschichte von Maryam und Jibril von ihrer sinnlichen Seite, sie findet Bilder für die Körperlichkeit dieser fast unmöglichen Beziehung, für die Einsamkeit, die sexuelle Begierde, die unverbrauchte Energie, die soziale Isolation. Immer wieder streicht Maryam sich ihr schönes langes Haar aus dem Gesicht, immer wieder greift er in seine Locken. Die Haare werden zum Fetisch – weil sie sonst keiner anfasst. Schön auch die Selbstverständlichkeit des Sprachengemischs und der Kopftuch-Varianten in der arabischen Community.

Chronik einer Entfremdung, im Takt der Jahreszeiten

Vom ersten Augenmerk bis zur letzten Ernüchterung: „Jibril“ spannt den Bogen im Takt der Jahreszeiten. Die Hoffnung im Frühling, ein sommerliches „ich hab voll die krasse Sehnsucht nach dir“, im Herbst dann die erste Enttäuschung und im Winter die Fernhochzeit samt Sex im Paarzimmer der Vollzugsanstalt. Chronik einer Entfremdung: Und die Romantik bleibt auf der Strecke.
In den Berliner Kinos fsk am Oranienplatz, Sputnik, Zukunft

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