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Fazil Say wurde 1970 in Ankara geboren

© Foto: Markus Werner

Festival „Aus den Fugen“ im Konzerthaus: Ungeheure Wut

Der türkische Pianist Fazil Say eröffnet das Festival „Aus den Fugen“ im Berliner Konzerthaus.

Wenn die Zeit „aus den Fugen“ gerät, kann das für das Klavierspiel nicht folgenlos bleiben. Das gleichnamige Festival im Konzerthaus, das damit einen „Soundtrack einer Welt im Umbruch“ bieten will, eröffnet Fazil Say mit einem Programm, das Unruhe und Konflikte betont.

Stark emotionalisierte Momente sind darin wichtiger als werkgerechte Ausführung. Am besten funktioniert das noch in Says eigenem Werk, der Klaviersonate „Gezi Park“. Sie bezieht sich auf die Ereignisse 2013 um den Instanbuler Gezi-Park, dessen Anwohnerprotest gegen seine Zerstörung durch Überbauung sich zu allgemeiner Kritik an der türkischen Regierung ausweitete. Ein 14jähriger Junge kam während der Räumung des Parks zu Tode.

Eine ungeheure Wut klingt aus Says Faustschlägen auf die tiefsten Klaviertasten, denen verlorene Melodiefetzen aus stumm gedrückten, dumpf schnarrenden Saiten antworten. Klänge, die im Pedalrausch diffus bleiben, Melodien, die in clusterartigen Dissonanzen keine Kontur gewinnen zeichnen ein Bild von Zerstörung. Illustrativ, plakativ ist dies gewiss, aber dennoch ein Protokoll kaum bewältigbarer, sich gewaltsam Gehör verschaffender Emotionen.

Says Virtuosität kommt hier durchaus substantiell zur Geltung. Im übrigen „klassischen“ Programm dient sie eher der Erzeugung spektakulärer Effekte. In flackernder Dynamik und schwankenden Tempi schrammt das „Adagio“ aus Beethovens „Mondscheinsonate“ hart am Kitsch vorbei. Zwischen härtesten Akzenten und säuselnden Pianissomo-Episoden fehlt dem rasenden Finale bei überreichlichem Pedalgebrauch das Innenleben der Mittelstimmen.

Extreme kennzeichnen auch eingangs Händels d-Moll-Suite. In nachdenklichen Pianoschattierungen und nachhörenden Rubati mag das – trotz einer fortissimo auftrumpfenden „Sarabande“ – noch als höchster Individualismus durchgehen. Nach einem kurzen Tonbandprotokoll mit Stimmen von Berliner*innen, die Ratlosigkeit, Ausgeliefertsein und Lähmung angesichts aktueller Entwicklungen beklagen, klingt Schuberts letzte Sonate in B-Dur in weicher Tongebung zunächst wie eine Insel der Seligen. Doch bleibt die Interpretation insgesamt zu harmlos, kümmert sich zu wenig um Details wie bedrohliche Triller oder unerbittliche Repetitionen, um die Gefährdung der Idylle kenntlich zu machen.

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