
© Jessica Reifer / Orange Logic / Progress Film
Festival „Film ohne Grenzen“ : Den Menschen in seiner Einzigartigkeit feiern
Das Filmfest in Bad Saarow geht in seine 13. Saison. Seine Lage ist stabil, doch hat sich seit dem Start das politische Umfeld stark verändert.
Stand:
Für Novalis, Meister des literarischen Fragments, stand fest: „Mensch werden ist eine Kunst.“ Nicht jeder Mensch wird dazu verständnisvoll nicken, aber das Fragment ist nun mal dem Wesen nach mehr Anregung zum Denken als dessen Ergebnis. Auch der vom niederländischen Autor Rutger Bregman gewählte Buchtitel „Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit“ dürfte, nimmt man ihn als These, kein klares Ja oder Nein auslösen. Und wie kann sich „Menschlichkeit in finsteren Zeiten“ beweisen? Eine Frage, die Hannah Arendt in ihrer Dankesrede zum Hamburger Lessing-Preis 1959 zu beantworten suchte, dabei auch an die philanthropía der alten Griechen erinnerte.
Das Bad Saarower Festival „Film ohne Grenzen“ hat für sein diesjähriges, auf seiner Website erläutertes Motto „Alles Mensch“ als Gewährspersonen und Ideengeber den frühromantischen Poeten, den Historiker, die politische Theoretikerin, die antiken Philosophen – und selbstverständlich, bestätigt Festivalleiterin Susanne Suermondt, spielte auch Margot Friedländers „Seid Menschen“ mit hinein, schon weil die unlängst gestorbene Holocaust-Überlebende im vergangenen Jahr Gast des Festivals war.
Politisch hat sich der Wind gedreht
Mit dem Motto werde ein Narrativ für das jeweilige Festival gesucht, auch wenn es nicht immer eins zu eins umzusetzen sei. In diesem Jahr gehe es um die Frage, was uns als Menschen ausmache, vor welchen Veränderungen wir in diesen Zeiten stehen, aber auch darum, den Menschen in seiner Einzigartigkeit zu feiern.

© Boris Trenkel/Film ohne Grenzen
Mögen die Zeiten zwar noch nicht ganz so finster sein wie jene, die die berühmte Denkerin vor Augen hatte: Ein Film wie der zur Eröffnung, die in Kinos am 18. September startende Dokumentation „Hannah Arendt – Denken ist gefährlich“, passt gerade im Brandenburgischen sicher gut. Ebenso der kurze Vorfilm von Anna Faroqhi und Haim Peretz, die das Jugendprogramm des Festivals leiten. Sie hatten eine Bad Saarower Konfirmandengruppe begleitet, die als Projekt Stolpersteine reinigte und die dahinter verborgenen Schicksale erforschte.
Das Festival findet in diesem Jahr zum 13. Mal statt, seit seinen Anfängen hat sich gerade das politische Umfeld stark verändert. Mit 34,8 Prozent wurde die AfD bei der Landtagswahl 2024 in Bad Saarow stärkste Partei.
Direkte Auswirkungen auf „Film ohne Grenzen“ hatte das bislang nicht. „Uns ist noch nichts Blödes begegnet“, resümiert Susanne Suermondt. Ohnehin verstehe man sich nicht als politisches Festival: „Wir wollen nicht Spaltungen, sondern das Gemeinsame aufzeigen.“ In den Workshops der Jugendprojekte aber merke man schon oft, dass in den Familien „der Wind aus einer anderen Richtung weht“.

© Hans Scherhaufer/Film ohne Grenzen
Dennoch sei sie voller Optimismus. Ihr Eindruck: „Die demokratischen Kräfte haben verstanden, dass sie zusammenstehen müssen.“ Und sie unterstützen das Festival nachhaltig: „Wir bekommen die Hilfe, die wir brauchen.“
Ohne die Sponsoren wäre das Festival natürlich „eine marktwirtschaftliche Katastrophe“. Auch jetzt trage es sich nur mühsam, sagt Suermondt. „Die Fördermittel werden nicht mehr, bei steigenden Preisen.“ Dies zum Glück mit immer mehr ausverkauften Vorstellungen und stabilen Publikumszahlen von etwa 2500 Menschen, die sich auf den idyllisch am Scharmützelsee gelegenen Eibenhof mit seiner Kulturscheune und das im Ort gelegene „Cinema by Velotel“ verteilen.
Sie erwartet am Eröffnungstag auch Mia Maariel Meyers in den Kinos gerade angelaufene Verfilmung von Caroline Wahls erfolgreichem Debütroman „22 Bahnen“. Nach dessen Vorführung gibt es ein Filmgespräch mit Laura Tonke, Darstellerin der alkoholkranken Mutter der Hauptfigur.
Solche Filmgespräche und Diskussionen schließen sich an fast alle der gut zwei Dutzend Filme an; am letzten Tag als traditioneller Festivaltalk auch zu einem Buch, das der Verfilmung noch harrt. Der als Autor, Produzent und Regisseur tätige Gero von Boehm wird mit dem auch schreibenden Schauspieler Christian Berkel über dessen dritten autofiktionalen Roman „Jupiter“ sprechen. Der Titel der Begegnung, frei nach Novalis: „Die Kunst, ein Mensch zu sein“.
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