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Ingela Brimberg als Leonore.

© / Foto: IMAGO/MARTIN MÜLLER

„Fidelio“ an der Deutschen Oper Berlin: In einem Totenhaus

Beethovens Revolutionsdrama als Gefangenenoper: David Hermann inszeniert „Fidelio“ an der Deutschen Oper Berlin.

Was folgt auf die Diktatur? Bricht auf der Stelle der Frieden aus, kommen die Menschen mit der neuen Freiheit zurecht? Die Frage nach dem Nation Building und den Herausforderungen für junge Demokratien ist virulent, ob in Osteuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs oder in den aktuellen Kriegs- und Krisenregionen der Welt.

Regisseur David Hermann stellt sie am Ende seiner Neuinszenierung von Beethovens „Fidelio“ an der Deutschen Oper Berlin mit einer Unerbittlichkeit, die das Publikum entzweit. Buhrufe mischen sich mit Begeisterung, nachdem das Jubelfinale alles andere als jubelnd ausgefallen ist. Keine Gefangenen, die sich glücklich ihrer Ketten entledigen, kein Don Fernando, der als Deus ex machina Leonores Befreiung ihres Rebellen-Gatten Florestan befördert und Don Pizarros Kerkertüren für alle Häftlinge öffnet, sondern ein geschäftstüchtiger Minister im blauen Anzug – Thomas Lehman, er sieht ein bisschen aus wie Olaf Scholz –, der samt Bodyguards und Entourage das entfesselte Volk in Schach zu halten versucht.

Die ins Offene entlassenen Bürgerinnen und Bürger – einmal mehr vorzüglich disponiert: der Chor der Deutschen Oper – , singen ihr „Heil sei dem Tag, heil sei der Stunde“ vielmehr wie ein schrilles Fanal, mit sich steigernder Wut. Sie drängen aggressiv und accelerando an die Rampe, während der Gouverneur und Staatsgefängnis-Oberaufseher Don Pizarro kurzerhand in jenem Grab verscharrt wird, das eigentlich für Florestan ausgehoben worden war.

Auf das Unrechtsregime folgen Unruhen, womöglich ein Bürgerkrieg. David Hermann, der im Haus an der Bismarckstraße bisher unter anderem Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ und Janáceks „Die Sache Makropulos“ inszeniert hat, verweigert das Happy-End.

Die jüngsten Umbauarbeiten an der Deutschen Oper sind abgeschlossen, wie frisch geputzt erklingt aus dem erneuerten Graben das Orchester unter Leitung seines Chefs Donald Runnicles, in seiner Klarheit ein fast zu sehr nach außen gestülpter Klang. Schon die ersten Ouvertüren-Takte enthalten ja die ganze Geschichte: ein energischer, action-verheißender Start, der durch fahle Hörner-Akkorde konterkariert wird. Bei der Premiere verrutschen sie allerdings arg, auch bei der Reprise. Hier die ideendramatische Revolutionsoper, da die Seelenqual der Unfreien: An der Balance mangelt es häufiger an diesem Abend.

Was auch am insgesamt unausgewogenen Sängerensemble liegt. Auf der einen Seite Ingela Brimberg als tatkräftige, im weiten Tonspektrum manchmal etwas zu vibrato-erregte Leonore, der strahlende Sopran von Sua Jo als Marzelline und der gesanglich wie schauspielerisch einnehmende Albert Pesendorfer als väterlicher, um einen Rest Menschlichkeit ringender Rocco. In seinem Schwanken zwischen Obrigkeitsgehorsam und Widerstand wird er zur Identifikationsfigur – die Sympathien des Publikums sind ihm gewiss.

Von wegen Jubelfinale. Das entfesselte Volk lässt sich von Don Fernando kaum in Schach halten.
Von wegen Jubelfinale. Das entfesselte Volk lässt sich von Don Fernando kaum in Schach halten.

© / Foto: IMAGO/MARTIN MÜLLER

Auf der anderen Seite Robert Watson als stimmlich blasser, angestrengter Florestan, dessen große Tenor-Arie „Gott! Welch Dunkel hier!“ enttäuscht, auch wenn er sie als Aufschrei eines an Isolationshaft und Auszehrung irre gewordenen Folteropfers anzulegen versucht. Jordan Shanahan als Pizarro hat ebenfalls zu kämpfen.

Figurenzeichnung und Gruppendynamik nehmen dennoch für sich ein, denn die Eingriffe in den Plot – denen wohl die Buhrufe fürs Regieteam geschuldet sind – folgen einer schlüssigen Logik. Beethovens einzige Oper, mit der er sich über ein Jahrzehnt herumschlug und die Elemente des Singspiels, der klassischen Nummernoper, des Melodrams, des Oratoriums und des Symphonischen miteinander kombiniert, sei keine Freiheitsoper, sondern eine Oper über Gefangenschaft, sagt David Hermann. Hier sind alle unfrei.

In der Tat sind sie allesamt dem hierarchischen Kerker-System unterworfen, als autoritäre Charaktere. Selbst Leonore, eine der kühnsten Frauen der Opernliteratur und Feministin avant la lettre, bleibt den Zwängen ihrer Fidelio-Verkleidung verhaftet. Da kann sie sich mit ihrer Hoffnungs-Arie im ersten Akt, von der Oboe unterstützt, noch so sehr selbst empowern. Für ihr hehres Ziel, den geliebten Gatten Florestan aus seiner Gruft zu befreien, geht sie hier buchstäblich über Leichen: Auf Roccos Geheiß macht Leonore von der Schusswaffe Gebrauch und tötet einen anderen Gefangenen.

Und Marzelline fällt ja gleich zu Beginn Leonores Camouflage als männlichem Gehilfen ihres Kerkermeister-Vaters Rocco zum Opfer. Sie verliebt sich in diesen Fidelio, der brave Jacquino (Gideon Poppe) liegt ihr zu Füßen, aber Leonores Lüge stürzt sie ins Unglück. Singspiel, Verkleidungskomödie? Nichts da. Beim finalen Volksaufstand steht Marzelline sehr alleine da, alleingelassen schon im Libretto.

Das Bühnenbild: Gefängnismauern aus Lehm, eine Gruft als Massengrab

Johannes Schütz hat für die kollektive Zwangslage ein düsteres Bühnenbild zwischen Eisernem Vorhang und Rückwand entworfen, mit Gefängnismauern aus Lehm, rostigen Leitern und einer Gruft in der Mitte. In diesem gähnenden Abgrund, einem Massengrab mit lebendigen Toten, spielt der zweite Akt. Auf einem Podest waschen Jacquino und Marzelline eingangs eine Leiche, später wird Pizarro sich unter das Podest zwängen und seine Beine krampfhaft auf einem Hocker verschränken. Noch dieser brutale Täter erweist sich als gequälte Kreatur.

Auch die an der Mauer hockenden Häftlinge tragen überdimensionale Totenmasken, und kaum dass sie am Ende des ersten Akts in die Sonne getreten sind, kehren sie folgsam wieder an ihre Plätze zurück. Schütz, der auch die Kostüme verantwortet, steckt die Protagonisten in Lederkluft und Arbeitskleidung. Roccos orangefarbene Monteurshose erinnert an Guantanamo – die einzige direkte Anspielung an die politische Gegenwart.

Unfreiheit bedeutet Einsamkeit, hier singt jeder für sich allein. Bereits das „Mir ist so wunderbar“-Quartett in der ersten Szene legen die Sänger:innen, das Orchester und Runnicles weniger liedhaft heiter an denn als fahles Lügengeflecht – man hätte es sich leiser gewünscht. Immer wieder tritt in den zahlreichen Ensemblegesängen die Bangigkeit zutage, das scheue Vortasten ans Licht, zugleich die heimliche eigene Agenda der Figuren, ihre schuldhafte Verstrickung.

Die Trios und Quartette gehören denn auch zu den schlüssigsten Momenten der Inszenierung, als Ausdruck der vergeblichen Sehnsucht nach einer Gemeinschaft der Freien. Noch in ihrem Duett „Oh namenlose Freude“ hyperventilieren Leonore und Florestan vor allem, da stammelt ein Paar, aneinander geklammert. Die Utopie vom freien Menschen bleibt ein frommer Wunsch.

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