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Kultur: Fischers Vergangenheit: Der Außenminister im Gespräch:"Für begangenes Unrecht entschuldigen"

Herr Minister, jeder weiß, Sie waren früher in der Sponti-Szene. Nun haben Sie im "Stern" eingeräumt, Sie waren in den 70er Jahren militant.

Herr Minister, jeder weiß, Sie waren früher in der Sponti-Szene. Nun haben Sie im "Stern" eingeräumt, Sie waren in den 70er Jahren militant. Das sei nicht nur im Grenzbereich gewesen. Wo haben Sie Grenzen überschritten?

Die Grenze der Gewaltlosigkeit.

Nur, indem Sie sich gewehrt haben? Oder haben Sie sich auch schon mal den ersten Schlag genehmigt?

Das war nicht so, dass man immer gewartet hat, bis man geschlagen wurde. Mit dem Sich-Wehren meine ich etwas anderes. Das geschah ja nicht von jetzt auf gleich, dass einige tausend harmlose junge Leute, ziemlich harmlose junge Leute, der Faszination der Gewalt erlegen sind - und einige ins Verbrechen abgestürzt sind. Das ist keine Frage von Sich-Wehren oder Sich-nicht-Wehren im Sinne einer Einzelaktion. Das hatte mit unseren Gefühlen zu tun, als auf Rudi Dutschke geschossen wurde. Da hat man dann nicht mehr gewartet. Da waren Entsetzen und Empörung riesig. Oder in meinem Fall, als Benno Ohnesorg Anfang Juni 1967 in Berlin erschossen wurde. Da haben wir dann nicht mehr gewartet. Das war meine erste große Demo. Ostern 1968, da gibt es Bilder, wie meine damalige Frau und ich zusammengeschlagen wurden von vier Polizisten. Wir hatten nichts getan, außer an der falschen Stelle zu sein.

Das klingt nach Rechtfertigung.

Nein, das rechtfertigt das andere nicht. Ich versuche nur zu erläutern, wie es dazu gekommen ist. Was als Sich-Wehren mit guten Gründen beginnt, löst bei jungen Männern - und wir waren damals jung - Faszination aus, wenn sie plötzlich ihre Angst besiegen und feststellen: Ich kann dagegenhalten. Wenn das dann noch ideologisiert wird, sind sie schnell in der Situation, wo nicht mehr die Diskussion über Zweck und Mittel geführt wird. Dies war ein großer Irrtum, ein schlimmer Fehler. Ein glaubhafter Bruch mit dieser Zeit als Streetfighter - ich habe ihn 1977 vollzogen - bedeutete auch, sich für begangenes Unrecht zu entschuldigen. Mein seitheriges politisches Engagement macht dies zweifelsfrei klar. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Recht und Gerechtigkeit untrennbar sind.

Jetzt werden Bilder gezeigt, wo die so genannte Putzgruppe auf am Boden Liegende ...

Da lag niemand am Boden. Sondern da wurde eine Demonstration gewaltsam aufgelöst und Jagd auf Demonstranten gemacht. In der Situation bin ich zum ersten Mal nicht mehr weggelaufen. Das hat mich große Überwindung gekostet. Ich hatte nichts als meine Hände. Andere sind dann dazugekommen. Diese Bilder wurden 1973 schon in der "Wirtschaftswoche" gezeigt. Dass das heute im Zusammenhang mit dem Bundesaußenminister seinen Reiz hat, ist klar. Ich habe nichts verheimlicht, habe nichts zu verheimlichen und schon immer gesagt: Das war meine Vergangenheit. Und ich habe den Bruch dargestellt: Klein, die Entebbe-Entführung, wo jüdische und nicht-jüdische Passagiere aussortiert wurden, die Schleyer-Entführung - das war ganz furchtbar und hat mir klar gemacht, dass sich die Absichten ins Gegenteil verkehren. Terrorismus, den habe ich immer aktiv bekämpft. Durch diesen Bruch bin ich zum Reformisten, zum Gewaltlosen, zum Demokraten geworden. Alles Ende der 70er Jahre.

Kann es Bilder geben, die zeigen, auch Joschka Fischer hat auf Polizisten, die schon am Boden lagen, eingeschlagen, eingetreten?

Nein. Aber es könnten Bilder auftauchen, wie Joschka Fischer am Boden liegt und von vier Polizisten vermöbelt wird. Die kann ich Ihnen zeigen.

Ihr früherer Szene-Kumpel Klein steht wegen des Terroranschlags auf die Opec-Konferenz 1975 vor Gericht. Sie werden dort aussagen.

Das ist kein Prozess gegen jemanden, weil er in der Frankfurter Sponti-Szene war, sondern gegen einen, der sie verlassen hat Richtung Terrorismus. Wäre Klein bei uns geblieben, stünde er heute nicht vor Gericht.

Wie wirkt es auf Sie, wenn Altkanzler Helmut Schmidt Ihrer Generation nun vorwirft, sie sei nicht gehärtet, weniger gehärtet als die Kriegsgeneration?

Soll man die Kriegserfahrung etwa als Leistung sehen? Wenn ich das Interview in Ihrer Zeitung mit dem von mir sehr geschätzten Helmut Schmidt lese, gerate ich in Auseinandersetzungen, wie ich sie mit unserer Vätergeneration immer wieder hatte. Helmut Schmidt ist da für mich der Prototyp. 1968 in Deutschland ist nicht zu begreifen ohne diesen Generationenkonflikt. Wir sind ja die Kinder der Weltkriegs-Generation.

Und das bedeutet in diesem Fall?

Ich habe in meiner Kindheit nie einen verfassungswidrigen Satz gehört, offiziell. Die Eltern-Generation - das waren ja alles aufrechte Demokraten. Was mich an uns 68ern erschreckt, ist nicht allein die jetzt heiß diskutierte Gewaltbereitschaft. Was mich schockiert ist, dass wir nicht gesehen haben, wie rasch wir uns dem angenähert haben, was wir an der Generation der Väter so abgelehnt hatten. Mir ist das während der Schleyer-Entführung definitiv klar geworden. Die Täter sind mit einem antifaschistischen Anspruch angetreten - und am Ende bei der Sprache und den Taten aus dem Wörterbuch des Unmenschen angekommen. Die RAF-Erklärung zur Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer, das war die kalte Genickschuss-Sprache der Nazis. Das hat mich zutiefst erschüttert.

Herr Minister[Sie waren fr&uuml], jeder weiß[Sie waren fr&uuml]

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