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Très trivial. Schon 1970 feierte der Fotograf William Eggleston in seinem Bild „Untitled, Memphis“ das Unscheinbare.

© William Eggleston / me collectors room

Fotografien im Me Collectors Room: Lust auf Ewigkeit

„The Moment is Eternity“ : Im Me Collectors Room zeigt Privatsammler Thomas Olbricht seine fotografischen Schätze, von Nicholas Nixon bis Juergen Teller.

Keiner entkommt „Irène“, die ein bisschen gelangweilt und zugleich herausfordernd auf die Besucher im Me Collectors Room blickt. Ihr linkes Ohr schmückt ein silbernes Schwert, an dessen Spitze sich das Licht bricht – und allein schon dieser Ohrring ist riesig. Übertroffen wird er bloß noch von Irènes monumentalem Antlitz.

Ihre Anziehungskraft überstrahlt erst einmal alle Arbeiten der Ausstellung „The Moment is Eternety“ mit Fotografien aus der Sammlung Olbricht. Dabei handelt es sich bei „Irène“ von 1980 nicht einmal um ein Foto. Der Schweizer Franz Gertsch hat es gemalt, und seine hyperrealistische Abbildung stellt gleich mal das gesamte Konzept der Schau zur Debatte: Denn wenn Malerei das Sichtbare so brillant wiedergibt, was unterscheidet sie dann von der Fotografie?

Keine Grenzen zwischen Genres

Der Maler Gerhard Richter nimmt diese Frage in einem ebenso klugen wie bizarren Dialog wieder auf. Seine Arbeiten – zwei berühmte Frauenbilder und die „48 Porträts“ legendärer Männer sind Ikonen zeitgenössischer Kunst. Doch in der Ausstellung hängen keine Originale, sondern (ebenfalls teure) Reproduktionen. Richter hat die Motive selbst abfotografiert und in kleiner Auflage ediert. Die Grundlage seiner Gemälde waren wiederum Fotografien etwa von Kafka oder Albert Einstein. Was bei Olbricht hängt, wirkt wie der Zwitter zweier künstlerischer Disziplinen, die seit der Etablierung der Fotografie um dieselben Themen konkurrieren. Und die trotz aller gegenseitigen Vorbehalte eng miteinander verbunden sind.

Als Kuratorin für „The Moment is Eternity“ wurde Annette Kicken gewonnen: Galeristin, Expertin für Fotografie und eine Verfechterin jener Praxis, die keine Grenzen mehr zwischen den Genres erkennen mag. Ihre Auswahl unterstreicht das mit jedem Exponat. Der sterbende Soldat von Robert Capa im spanischen Bürgerkrieg? Ein Reportage-Shot, der heute in Museen hängt. August Sanders epochale Aufnahmen von „Menschen des 20. Jahrhunderts“: Dokumentarische Aufnahmen, deren sachlicher Stil die künstlerische Fotografie bis heute beeinflusst.

Es gibt Akte aus der Abteilung Erotik oder die jährlichen Treffen der vier Brown Sisters, deren Zusammenkünfte der amerikanische Fotograf Nicholas Nixon seit 1975 dokumentiert – und zeigt, dass jede der Schwestern Glück und Leid individuell erlebt. Sie altern nicht kontinuierlich, sondern sprunghaft und individuell.

Das Gesicht verzerrt sich zur Maske

Es ist dieser „fotografische Zugriff auf die Wirklichkeit“, der Annette Kicken in ihrer Auswahl leitet. Die apparative Technik der Kamera erzeugt keine nüchternen Abbildungen, sondern interpretiert das Gesehene vom ersten Moment an. So schuf Juergen Teller nicht einfach ein Porträt von Yves Saint Laurent. Im Fokus des Fotografen verzerrt sich das Gesicht dieses begnadeten Ästheten zur Maske, die seine Schönheit auf ewig konservieren will. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn die Kuratorin sich aus Olbrichts Gemäldesammlung ebenso wie aus seiner Wunderkammer bedient und etwa Saint Laurents bemühte Jugendlichkeit mit Vanitas-Objekten kontrastiert. Unter den 300 gezeigten Arbeiten befinden sich winzige Schädel aus Elfenbein, ausgestopfte Exoten, alte Sanduhren und Schildkrötenpanzer, deren gemaserte Oberflächen von den Existenzbedingungen der Tiere erzählen.

Zeit und Vergänglichkeit, Tod und Schönheit sind die Impulse künstlerischer Erzählung. Sie durchziehen die schöpferischen Prozesse, an deren Ende das Zitat steht, das sich die Ausstellung von Goethe leiht: Der Moment gerinnt zur Ewigkeit, sobald es ein Bild von ihm gibt.

Me Collectors Room, Auguststr. 68; bis 1.4., Mi–Mo 12–18 Uhr (1.1.2019 geschlossen)

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