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Lilla von Puttkamers „Kleiderberg (1)“ ist ein Gemälde von 2018.

© Kunst & Markt produziere: Lilla von Puttkamer, Kleiderberg (1), 2018/Kunst & Markt produziere: Lilla von Puttkamer, Kleiderberg (1), 2018

Fragile Gedanken: Die Ausstellung „Frozen Mirrors“

In Düsseldorf unterhält die Sammlerin Monika Schnetkamp den Ausstellungsraum Arthena Foundation. Ihre aktuelle Ausstellung sucht Illusionäres in der Realität.

Stand:

Ein Bett in seine Bestandteile zerlegt, Tischbeine, Türblätter und Lattenroste – wie für den Sperrmüll gestapelt. Was an die puristischen Lager von Geflüchteten und Obdachlosen erinnert, hat Florian Slotawa in Hotelzimmern auseinandergenommen und in neue Kontexte und Ordnungen versetzt.

Die seriellen Fotografien kühn möblierter Stillleben verwandeln den Gebrauchsraum in einen heiter absurden Denkraum und treiben mit realen Gegebenheiten die Illusion auf die Spitze.

Dem Illusionismus und den Fragen um Realität und Zeit widmet sich die Ausstellung „Frozen Mirrors“ im Düsseldorfer Kai 10. Umberto Ecos Begriff des „Gefrierspiegels“, der die Zeichensysteme und Schichtungen unterschiedlicher Ebenen simultan verhandelt, überträgt Kurator Ludwig Seyfarth auf das zeitgenössische Stillleben.

Am sichtbarsten auf Eco beziehen sich Michael Weselys Langzeit- und Doppelbelichtungen. Wie Legierungen multipler Spiegelbilder legen sich die Schemen in den Fotografien übereinander. In urban flirrenden Szenarien werden Licht und Luft zu diaphanen Schleiern oder luminösen Segeln, die Straßen und Häuser überspannen oder Zeitschleifen über Jahrzehnte ziehen.

Kulturelle Klischeekiste

Schon Georges Adéagbos Installation „Le Dieu – Les Dieux“ lohnt den Besuch der Ausstellung mit insgesamt vierzehn Positionen, darunter Saskia Groneberg, Konstantin Totibadze oder Stefanie Pöllot.

Lustvoll greift Adéagbo, 1942 in Benin geboren und Teilnehmer der Documenta 11, in die Klischeekiste afrikanischer und europäischer, elitärer und populärer Kultur, hebt Hierarchien und lineare Denkstrukturen auf, durchkreuzt und durchlüftet unseren Geist mit seinen Wunderkammer-Kabinettstückchen.

Auf einem Teppich und an den Wänden treffen Nippes und Rüschenkleid auf Holzskulpturen aus Afrika, poppige Platten-Cover auf knallharte Schlagzeilen globaler Magazine und Zeitungen. Die berichten von Armut und vom Fußballglück oder dem weltweit ersten Altersheim für Homosexuelle. Eine handschriftliche Notiz verweist auf den Spiegel im Kunstkontext, ein Fußballtrikot plädiert in großen Lettern für Deutschland, daneben seufzt ein Buchtitel „Ach, Afrika“.

Melange der Zeiten: Michael Weselys, „Alexanderplatz, Berlin, 1946/2023“.

© Michael Wesely VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Archivalischen Charakter suggeriert auch Lilla von Puttkamers Glasschaukasten mit Schlüsseln und Pinseln, einer Armbanduhr, Stricksocken und einer Maus. Glasierte Keramikobjekte, die ein ebenso rätselhaftes wie humorvolles Verhältnis von Alltagsnutzen, Fragilität und Größe ausloten.

Die archäologische Spurensuche der deutsch-ungarischen Künstlerin führt in „Hannahs Höhlengleichnis“. Hannah Arendt schaut als keramische Miniatur auf jene Dingwelt, die den Gefangenen in Platos Höhle nur als Schatten real anmutete. Die große Philosophin ist ans Licht der Vernunft getreten; wie viel Wahrheit, Illusion oder Einbildung den sie umgebenden Dingen jedoch zugrunde liegt, bleibt zweifelhaft.

In Zeiten von Fake-News, Informationsüberfluss und sogenannten sozialen Medien, in denen die Realität sich in Echtzeit aufzulösen beginnt, ist das Hinterfragen und Differenzieren von Illusion und Wirklichkeit kein leichtes, aber dringendes Unterfangen.

Die klug konzipierte Ausstellung erforscht unsere Wahrnehmungsschärfen und -unschärfen mit skurrilen „dreidimensionalen Stillleben“ des Belgiers Guillaume Bijl, mit Karin Kneffels Malerei, in der die unmittelbare Gegenwart in architektur- und kunsthistorische Vergangenheiten einbricht, mit fotorealistisch gemalten Spülbecken von Helene Appel oder René Wirths‘ überdimensionalen Totenschädeln und Ghettoblastern, die das Illusorische im „Blow up“ munter hintertreiben.

Die Welt als Attrappe

„Vielleicht ist die Welt der Dinge und Waren in unserer Zeit überhaupt nur noch eine Attrappe, die darüber hinwegtäuscht, dass wir schon längst nicht mehr in einer Waren-, sondern in einer Informationsgesellschaft leben?“, so Kurator Seyfarth.

Um Illusionen drehte sich bereits 2008 die erste Ausstellung, mit der Kai 10 eröffnet wurde. Hinter dem ambitionierten Programm des „Raums für Kunst“ steht die Arthena Foundation mit Monika Schnetkamp als Gründerin und ihr hochtouriger Motor. Die aus Oldenburg stammende Unternehmerin und Kunstsammlerin will mit der Vermittlung von zeitgenössischer Kunst „Impulse in die Gesellschaft geben“.

Zwei neue Speicher

Die thematisch fokussierten Ausstellungen werden von einem diskursiven Rahmenprogramm sowie von inhaltlich und grafisch ausgesuchten Publikationen begleitet. Daneben kooperiert die Stiftung an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft mit Institutionen und akademischen Instituten, veranstaltet Workshops und Vorträge mit Fachleuten, vergibt Stipendien und unterstützt Katalogvorhaben von Kunstschaffenden. Denn auch das Kulturgut Buch ist der umtriebigen Mäzenin eine Herzensangelegenheit.

Im architektonisch grellen Potpourri des Düsseldorfer Medienhafens – mit Bauten der regionalen und internationalen Architekturprominenz – fällt das ehemalige Speichergebäude aus den 1950er Jahren gerade durch seine Schlichtheit und visuelle Konzentration auf. Mittlerweile hat Monika Schnetkamp zwei angrenzende Speicher erworben, in denen zukünftig ihre Privatsammlung präsentiert wird und Raum für Atelierstipendien entsteht.

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