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Szene aus „The Woman Who Ran“.

© promo

Wettbewerb Berlinale 2020: Frauen, die über Männer reden – Hong Sang-soos „The Woman Who Ran“

Klein, leise, dabei umso reicher: „The Woman Who Ran“ von Hong Sang-soo ist ein Höhepunkt im bisherigen Wettbewerb.

26.2., 10 Uhr, 27.2., 18.45 Uhr (jeweils FSP), 28.2., 12.15 Uhr (HdBF)

Es wird wenig Alkohol getrunken im neuen Film von Hong Sang-soo. Der koreanische Regisseur, seit Ende der 1990er Jahre Stammgast auf der Berlinale, ist bekannt dafür, den Figuren in entscheidenden Szenen Soju einzuflößen, auf dass die Zunge lockerer und die Kommunikation einfacher wird.

Im Wettbewerbsbeitrag „The Woman Who Ran“ besucht Gam-hee (Kim Min-hee), die das erste Mal in fünf Jahren ohne ihren Mann unterwegs ist, zwei alte Freundinnen in den Vororten von Seoul. Zum Grillen bei der geschiedenen Young-soon (Sei Young-hwa) bringt sie Fleisch und Drinks mit, aber das Treffen mit Su-young (Song Seon-mi) beschränkt sich auf ein Glas Weißwein am Nachmittag – und mit Woo-jin (Kim Sae-byuk) bleibt es beim Kaffee.

In knapp 80 Film-Minuten geschieht nicht viel mehr, als dass alte Bekannte sich auf den neuesten Stand bringen, und doch geschieht ganz viel, weil dabei das gesamte Leben mitschwingt. Das ist das Prinzip von Hongs Filmen, die Variationen des Immergleichen sind und meist ohne fertige Drehbücher entstehen: Menschen in eine Gesprächssituation bringen und beobachten, in langen statischen Einstellungen, ohne sie zu früh durch einen Schnitt zu erlösen. Ab und an akzentuiert mal ein Schwenk, mal ein Zoom das Gesagte – oder das, was gerade ungesagt bleibt.

Erhabene Kinomomente

Nach den zwei Verabredungen trifft Gam-hee in einem Kino zufällig eine weitere Frau. Diese Begegnung ist stärker mit vergangenem Schmerz aufgeladen als die beiden zuvor. Ein Drama bleibt angedeutet, eine Entschuldigung liegt in der Luft, zwei Hände berühren sich. Indem Hong radikal an der Oberfläche bleibt, meint man, ganze Welten im Inneren seiner Figuren zu spüren, lugt hinter jedem noch so banalen Satz eine gemachte Entscheidung hervor, mit deren Konsequenzen man gerade lebt.

Die Männer sind zum Gesprächsthema degradiert in diesem Film der Frauen. In einer der schönsten Szenen klingelt ein Nachbar bei Young-soon und beschwert sich, dass sie und ihre Mitbewohnerin eine streunende Katze füttern. Es entspinnt sich ein fast philosophisches Zwiegespräch über das Verhältnis von Mensch und Tier, bei der am Ende die Katze selbst das letzte Wort hat – in einer Einstellung, die zugleich spektakulärer Insider-Joke und erhabener Kinomoment ist.

Verglichen mit Hongs letzten Filmen erscheint „The Woman Who Ran“ nicht nur weniger alkoholgetränkt, sondern auch kleiner, leiser, dabei umso reicher. Ein bescheidener Höhepunkt im bisherigen Wettbewerb.

Till Kadritzke

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