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Die Berliner Philharmoniker bei einem Auftritt in Baden-Baden.

© Monika Rittershaus/Berliner Philharmoniker

Frederik Hanssens Kolumne „Der Klassiker“: Oh Graus, spontaner Applaus!

Klassik-Kenner können es gar nicht leiden, wenn bei einer Sinfonie oder einem Solistenkonzert zwischen den Sätzen geklatscht wird. Aber ist diese Strenge wirklich nötig?

Eine Kolumne von Frederik Hanssen

Stand:

Kulturpolitiker, die keine Ahnung von klassischer Musik haben (leider die allermeisten), fordern ja gerne, das Publikum müsse in diesem Bereich „vielfältiger, bunter und jünger“ (Claudia Roth) werden. Würden diese Volksvertreter Konzerte und Opernhäuser besuchen, sie könnten sich davon überzeugen, dass dem längst so ist.

Woran man das erkennt? Da ist zum einen der Dresscode, früher ein unübersehbares Distinktionsmerkmal, heute gänzlich abgeschafft. Und da ist zum anderen der spontane Applaus zwischen den Sätzen einer Sinfonie oder eines Solistenkonzertes. Beides bringt konservative Klassikfans auf die Palme, ich aber freue mich mittlerweile sogar darüber: Weil sich hier zeigt, dass das Publikum lebendig ist und nicht erstarrt in kunstreligiöser Ehrfurcht.

Begeisterung, die sich Bahn bricht

Noch vor hundert Jahren war es absolut üblich, auch zwischendurch mal seiner Meinung über die Werke Ausdruck zu verleihen, sei es als Protest (auf Schlüsseln pfeifen, höhnisch lachen, Türenknallen) als auch in zustimmender Form.

In der Oper wird bis heute nach besonders geglückten Arien gejubelt, im Jazz brandet Begeisterung auf nach jeder Improvisation. Im Konzertsaal dagegen erlebte man verfrühten Applaus eigentlich nur nach dem dritten Satz von Tschaikowskys „Pathétique“ sowie im Finale von Haydns 90. Sinfonie – und in beiden Fällen sind es die Komponisten selbst, die diese Reaktion provozieren.

Mittlerweile aber brandet nach einem Satzende im Auditorium häufig Applaus auf. Weil viele im Saal das ungeschriebene Gesetz nicht kennen, dass eine Publikumsreaktion erst ganz am Schluss zu erfolgen habe. Was auch dran liegt, dass selbst die Kulturwellen der staatlichen Radiosender fast nur Häppchen-Klassik spielen. Und bei den großen Streamingdiensten Sinfonien grundsätzlich aus mehreren „Songs“ bestehen.

„Der Regel Güte daraus man erwägt, dass sie auch mal ‘ne Ausnahm‘ verträgt“, heißt es in Wagners „Meistersingern“. Wenn live gespielte Musik die Leute so packt, dass sie ihr atemlos lauschen und anschließend das Bedürfnis haben, ihrer Freude sofort Ausdruck zu verleihen – dann, finde ich, sollten sie das ruhig tun dürfen. Ohne dafür von den Kennern abschätzige Blicke zu ernten.

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