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Das Freiburger Barockorchester fühlt sich in historischen Gemäuern ebenso wohl wie in modernen Konzertsälen.

© Foppe-Schut

Freiburger Barockorchester zu Gast in Berlin: Wenn sich der Abgrund auftut

Eine echte Herausforderung: Gemeinsam mit dem Chor Vox Luminis führt das Freiburger Barockorchester Bachs Matthäuspassion in der Philharmonie auf.

Eine glückliche Beziehung scheint sich zwischen dem Vokalensemble „Vox Luminis“ mit seinem Leiter Lionel Meunier und dem Freiburger Barockorchester anzubahnen. Faszinierte vor Weihnachten ein farbenprächtiges, emotional mitreißendes „Maginificat“ von Johann Sebastian Bach im Kammermusiksaal, so wagt man sich jetzt an das Mammutunternehmen der „Matthäus-Passion“ im großen Saal der Philharmonie.

Das lässt sich zunächst auch ganz prächtig an. Meunier, als Primus inter pares mitten im Chor stehend und später mit voluminösem Bariton als Richter Jesu auch solistisch hervortretend, hat alles im behutsamen, fast unsichtbaren Griff: Die als Doppelorchester einander im Dialog zuspielenden Instrumentalist:innen, den lupenreinen, klangschönen Doppelchor, in den sich die Freiburger Domsingknaben (Einstudierung: Boris Böhmann) markant einblenden: „Oh Lamm Gottes, unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet.“

Soghafte Intensität

In fließendem Tempo entsteht ein unentrinnbarer Sog des großen Eingangschores „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“, dem die akzentuierten Rufe des zweiten Chores („seht – wohin? - auf unsere Schuld“) gesteigerte Intensität verleihen. Ein bisschen zu fröhlich vielleicht hüpfen die Oboen-Staccati im beschwingten Zwölfachtel-Takt, doch die Passionsgeschichte ist ja auch zugleich eine frohe Botschaft der Erlösung für alle Gläubigen.

Klangmächtig ergreifend wirkt dieser große Chor, gerade auch durch die Zerbrechlichkeit einer sparsam solistischen Besetzung: den zarten Streichern, den süßen Flöten und klagenden Oboen gibt ein diskretes Orgelpositiv zusätzliche Farben, in vorbildlicher Transparenz.

Heikler Spannungsbogen

Doch es wird auch klar, was für ein schwieriges Werk diese etwa dreistündige Matthäus-Passion ist. Immer wieder zerbricht sie selbst den Spannungsbogen, durch die schnelle Abfolge von Evangelistenberichten, Arien und Chorszenen. Und die intimen Botschaften der weniger durchschlagskräftigen historischen Instrumente und der aus dem Chor hervortretenden Solist:innen verpuffen im (zu) weiten Rund der Philharmonie, zumal kein einziges Wort zu verstehen und bei schummeriger Saalbeleuchtung auch kein Text mitzulesen ist.

Auch wenn das biblische Geschehen bekannt sein dürfte, kennt nicht jeder das Werk im Detail. Dabei ist Raphael Höhn ein fabelhaft artikulierender, intonationssicherer Evangelist, Sebastian Myrus ein wohltuend unprätenziöser und doch ausdruckstarker Christus. „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ der etwas zaghaften Zsuzsi Tódt geht in der Oboenklage unter, „Erbarme dich“ von Altus William Shelton entfaltet nicht volle Intensität. Spannung vermittelt der Chor in differenzierten Chorälen und im dramatischen „Sind Blitze, sind Donner...“. Plötzlich entsteht Bewegung, und wir verstehen, welcher Abgrund sich damals im Garten Gethsemane auftat.

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