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Kultur: Freiheit vor den Schlachtrössern

Warten auf den Moment, an dem alles wild wird, zerspringt, hochfliegt, explodiert.Warten auf die Erlösung.

Warten auf den Moment, an dem alles wild wird, zerspringt, hochfliegt, explodiert.Warten auf die Erlösung.Warten auf das entscheidende Wort.Man wartet lange.Aber es lohnt sich.Jene Hoffnung wird enttäuscht.Auch das ist gut so.Ein leises, stilles, feierliches Werk.Nichts für flotte Schmecker.Man sitzt da und muß schauen.Nichts geschieht, was sich im herkömmlichen Sinne als "Geschehen" bezeichnen ließe.Man muß mit den Ohren sehen.

Der Abend heißt "Musiktheater", sein Titel lautet: "Beuys".Der Held ist als Opernfigur nicht anwesend, doch wann gab es größere Präsenz eines fernen Helden als hier? Wer sich ein wenig mit der Materie "Joseph Beuys" beschäftigt hat, wird den Künstler fortwährend wiedererkennen, nicht nur durch die Zitate, die der Komponist Franz Hummel in sein neues Werk eingelesen und mit Paraphrasen der Librettistin Elisabeth Gutjahr verwoben hat.Beuys ist gegenwärtig in der bestechenden Öffentlichkeit von "Beuys".

Freilich, man könnte das Werk mit wenigen Anschlägen totschreiben.Man könnte das Gestammel, die Silben- und Satzbrocken, das semantische Labyrinth für unvereinbar mit jedwedem dramaturgischen Prinzip halten.Man könnte die schlichte hölzerne Spielfläche und die von Jannis Kounellis in die Düsseldorfer Rheinmetallhalle gezogenen drei Schlachtrösser der Deutschen Bahn AG für einen kolossalen Stilbruch in sich halten.Gewiß, es werden heute Verrisse in vielen Zeitungen stehen.Na und?

Ich mag diesen Abend, je länger er dauert.Er wird immer karger.Er nimmt sich ungeheuerliche Freiheiten, obgleich "Die übriggebliebene FLUXUSsinfonie für Klavier und Orchester" mittendrin um etliche Minuten gekürzt wurde.In diesem veritablen Klavierkonzert scheint die Musik bisweilen wild zu werden, hochzufliegen und zu zerspringen.Das Klavier kobolzt (eine zyklopische Leistung von Carmen Piazzini).Doch kommt es weder zu Kapriolen noch zu Erlösungen.Richard Wagner ist jetzt ganz weit weg.

Wer spielt da mit? Die Leute heißen "Jünglingin", "Iphigenie", "Der Zwilling", "Siegfried", "Titus Andronicus", "Ignatius von Loyola", "Der Präsident" oder "Der Ausstellungsmacher" - das Abendland macht seine Aufwartung.Auch Andy Warhol kommt vor, das ist komisch, sogar saukomisch.Leider lacht niemand.Alle halten den Abend für eine Erinnerungsfeier, für eine Prozession ohne Schritte.Warum lacht keiner? Es gibt so viel zu lachen."Beuys" ist sehr unterhaltsam, man muß allerdings wissen, daß Hummel solchen Kitzel eifrig versteckt hat.

"Beuys" ist Musiktheater mit ganz liberalem, weitherzigem und sehr mutigem Ordnungsbegriff.Die Orchesterzwischenspiele sind nicht mehr von dieser Welt.Sie dauern lange, sehr lange.Die Szene "Kapital" endet phantasievoll in verstörendem c-Moll.Der Epilog "Palazzo Regale", wenn alle schon still stöhnend auf die Uhr gucken, hört überhaupt nicht mehr auf.Metronomangabe: Achtelnoten = 46, und das über sechs Seiten im Klavierauszug - da legt sich manches Gemüt nieder und verpaßt das Allerschönste.

Die Deutsche Oper am Rhein schickt ihre besten Kräfte.Die Düsseldorfer Symphoniker leisten Grandioses.Der riesige Raum klingt, atmet und schwingt mit.Die Holzbläser lassen Luft und hauchen Poesie ins All.Die tiefen Streicher in "Coyote" kondensieren wie Wasser an der Fensterscheibe, doch die rhythmische Fasson leidet nie.Wen-Pin Chien am Pult koordiniert wach und sorgfältig.Bei den Sängern war es immer wieder Lisa Griffith als "Jünglingin", die sich in den Himmel des Vokalen absetzte und dort droben strahlte und blinkte.Sehr gut alle anderen und vor allem der Chor (Einstudierung: Volkmar Olbrich).

Die Inszenierung von Hermann Schneider ist streng und asketisch; ihren subtilen Humor wagte kaum jemand zu erkennen.Daß da bei der "Fluxussinfonie" auf offener Bühne gegrillt wird, ließ das Publikum unbeeindruckt.

Jeder Mensch ist ein Künstler - und ein Koch.Beuys hätte das gefallen.Die kleinen Requisiten auf der Bühne sind große Zeichen.Am kleinsten und am größten ist der Leuchtturm.

Doch gibt es auch würgende, schwarze Momente - wenn etwa "Der Präsident" (wer außer Johannes Rau könnte da gemeint sein?) sagt: "Ich lasse mich nicht zum Kunstobjekt machen.Im Namen der demokratischen Grundordnung - Sie sind entlassen.Sofort und fristlos." Wer sprang da an? Keiner.Schade.Rau war tags zuvor abgelöst worden, köstliche Aktualität.Nun, vieles kriegt man wirklich nicht mit bei "Beuys".Aber dazu sind die Wiederholungen da.

Nächste Vorstellungen in Düsseldorf am 30.Mai, 20.und 26.Juni, bei den Wiener Festwochen am 5., 6.und 7.Juni.

WOLFRAM GOERTZ

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