
© privat
Helmut Lotz ist tot: Freude am Fremden
Seine Heimat war die Suche nach dem weckenden Wort. Der Verleger Helmut Lotz ist tot. Ein Nachruf.
Stand:
Helmut Lotz ist gegangen, der Verleger der Edition diá in Berlin. Kaum tröstliche Traurigkeit verspürt selbst einer, der ihm persönlich niemals begegnet ist. Unser Gesprächsort war das Telefon, manches Mal wohl dreimal am Tage.
Dort pflegten wir die gemeinsame Liebe zu Emmanuel Bove, dem kleinen leisen Bruder Marcel Prousts: der die Menschen auf seinen Spaziergängen durch das Paris der armen Leute im frühen 20. Jahrhundert wie ein Radiologe durchschaute und dem Helmut Lotz eine vielbändige, von Thomas Laux ins Deutsche übertragene, Gesamtausgabe widmete.
Vor allem aber verlegte die Edition diá und wird es wohl auch in Zukunft tun, Bücher, die Lust auf das Fremde machen. Freude am Fremden. In diesen fremdenfeindlichen Zeiten.
Den Verlag hatte der gelernte Buchhändler 1984 in seiner Heimat Wuppertal aus einem Dritte-Welt-Laden heraus riskiert: gemeinsam mit dem brasilianischen Ethnologie-Fotografen Ricardo von Buettner. 1995 kam Kai Precht hinzu, der in Namibia lebt und den er, trotz der Entfernung „wie einen Baum“ empfand, „der mich trägt“.
„Wenn es nicht so anmaßend klänge“, hat er einmal gesagt, „dann empfänden wir uns als Urenkel des Reisenden Alexander von Humboldt“.
Er war die Verkörperung der Höflichkeit
Aber da, nach einem Wort Arno Schmidts, „die schönsten Abenteuer im Kopf stattfinden“ und Reisen ins Portemonnaie greifen, ging er seiner Leidenschaft und seiner Sorgfalt in seinen vier Wänden mit dem Finger auf der Landkarte nach. Eine verzehrende Krankheit, gegen deren Bürde er acht Jahre lang kämpfte, erschwerte ihm schließlich beinahe jeden Tagesbeginn. Aber er raffte sich auf, bewältigte seine selbst auferlegten Pflichten – und griff zum Hörer.
Ein einst robuster Mann, der nur noch das Gewicht eines größeren Kindes aufbrachte. Bei diesen Telefonaten waren es nicht wir, die noch Gesunden, die ihn stärkten. Er ermutigte uns, mit unseren kleinen Sorgen. Man mag sich nicht vorstellen, welche Energie er ohne seine Erkrankung ausgestrahlt hätte; mit einer Höflichkeit, deren Verkörperung er geradezu war.
Mit seinem letzten verlegerischen Mut hat Helmut Lotz, die Hebamme seiner Autoren, ein Buch entbunden, das er selber zu seinen wertvollsten zählte: Birgit Kahles „Schau nicht hin, schau nur geradeaus“.
Alles hat sich verändert
Es erzählt von einer deutschen Flucht im Jahre 1945 aus der Sicht eines siebenjährigen Mädchens. Es hält auch jenen unter uns den Spiegel vor, denen es an Mitgefühl für die heute in aller Welt Flüchtenden mangelt. Es bebildert einen Heimatverlust. Seine Heimat war die Suche nach dem weckenden Wort. Am 31. Oktober ist er im Alter von 65 Jahren in Berlin gestorben.
Nun lässt er einige seiner Freunde womöglich so zurück, wie es Dorothy Parker einst ironisch mit diesen Worten geahnt hat: „Wenn das Telefon nicht klingelt, weiß ich, dass Sie es sind“.
Zum Abschied Verse: Ein Schritt vor die Tür von Ror Wolf
Haben Sie bemerkt, dass sich alles/verändert hat?/ Haben Sie das bemerkt?/ Es ist alles anders geworden,/finden Sie nicht?/ Zwar nicht äußerlich, nicht so sehr,/aber anders.
Dabei glauben die Leute, es hätte/sich gar nichts verändert,/ es sei alles beim Alten geblieben/Doch ich sage Ihnen:/Alles ist anders geworden,/unter der Oberfläche, verstehen Sie/nicht in der Art einer Kleinigkeit,/sondern regelrecht, überall./Oh, Sie werden mich schon noch/begreifen im Laufe der Zeit.
Harald Wieser
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: