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Kultur: „Fritzchen ist forlaut“

Zum 75. Geburtstag von Fritz J. Raddatz erscheint sein Briefwechsel mit Uwe Johnson

Sein Flehen wurde erhört: „Strafen Sie mich mit was Sie wollen, ausser mit Schweigen“. Zum Verstummen kommt es zwischen Uwe Johnson und Fritz J. Raddatz erst viele Jahre später. Hier aber, im Juni 1969, ist das Gespräch des Mecklenburger Autors mit dem stellvertretenden Leiter des Rowohlt-Verlags und späteren Feuilletonchef der „Zeit“ in vollem Gange. Und das, obwohl der drei Jahre jüngere Schriftsteller den Großkritiker einmal dem Amüsement der versammelten Gruppe 47 ausgesetzt hatte: Johnson heftete Raddatz hinten ans Jackett einen absichtsvoll verschriebenen Zettel „Fritzchen ist forlaut“.

„Liebes Fritzchen“ beginnt Johnson seine Briefe an Raddatz, der wiederum mit „Lieber Groß-Uwe“ antwortet. 179 Schriftstücke umfasst die Korrespondenz, eine der umfangreichsten in Johnsons Nachlass, die zu Raddatz’ 75. Geburtstag am kommenden Sonntag in einer schönen Ausgabe mit Fotos und Faksimiles erschienen ist.

Nicht nur die Anredeformeln erzählen von einem Verhältnis zwischen Warmherzigkeit und Befremden. 1959, als sie einander kennenlernten, war Johnson gerade aus der DDR nach West-Berlin „umgezogen“. Raddatz, ehemals Lektor des Staatsverlags Volk und Welt, hatte seinen Wohnort ein Jahr zuvor in die Bundesrepublik verlegt. Die DDR-Erfahrung blieb ein verbindendes Moment. Sei es in dem „merkwürdigen zwang, abschiedsbriefe zu schreiben“, wie Raddatz einmal beider Schreiben über den Osten in Brecht-typischer Kleinschrift charakterisierte. Sei es beim endgültigen Bruch, den Johnson mit dem Schuldspruch „Illoyalität, westdeutscher Spielart“ versah.

Das verbreitete Raddatz-Bild zeigt den Sylt-Liebhaber (dazu bei Marebuch ein druckfrischer Essay) und Porsche fahrenden „Fritzceraldo“ als Impresario des westdeutschen Literaturbetriebs. Im Briefwechsel mit Johnson kommen, stiller und ehrlicher als in der Autobiografie „Unruhestifter“ (2003), auch die Niederlagen und Krisen zur Sprache. Etwa nach dem Selbstmord des Lebensgefährten Eckfried, an dessen Todestagen einsame Briefe von Hamburg nach Berlin gehen: „wohnten Sie um die ecke, wäre ich einfach mal aufgetaucht“. Johnsons vierbändiges Prosawerk „Jahrestage“ über deutsche Geschichte im totalitären 20. Jahrhundert förderte der Literaturkritiker nach Kräften. Den schönsten Satz aber schrieb Raddatz dem Autor im Oktober 1970: „ein sehr schwer zu lesendes aber sehr leicht zu verstehendes buch“. Die Wertschätzung galt beiderseits. Johnson lektorierte Raddatz’ Habilitationsschrift über „Traditionen und Tendenzen“ (1972) der DDR-Literatur. Oder er sprang ihm öffentlich zur Seite, als dessen Marx-Biografie von dem Ost-Berliner Philosophen Wolfgang Harich im „Spiegel“ des Plagiats bezichtigt wurde. Dank des Kommentars von Erdmut Wizisla sind all diese Kontexte erschlossen.

Freilich wird in den Briefen auch getratscht und geklatscht. Sämtliche Größen haben ihren Auftritt: Walser, Unseld, Grass, Reich-Ranicki, Richter, Augstein usw. Gerüchte sind die Würze und das Gift dieser Szene. Im Sommer 1978 macht ein neues die Runde: Der nach England übergesiedelte Johnson lebe von Frau und Tochter getrennt. Raddatz ist, neben Enzensberger oder Hans Mayer, nur ein Urheber dieser Vermutung. Doch Johnson beschuldigt ihn als alleinige Quelle jener „kaltschnäuzigen Geschwätzigkeit“. Es kommt zum Bruch – unwiderruflich. Ein Brieflein gibt es noch 1983, aber da hat Johnsons „Rasiermesserbegriff von Freundschaft“ (Raddatz) für sein einstiges „Fritzchen“ nur noch ein „Sehr geehrter Herr Raddatz“ übrig. Erstaunlich an dieser Korrespondenz ist der Ton. Umständlich und förmlich wie von Honoratioren aus dem 19. Jahrhundert klingt vieles der Anfang Dreißigjährigen. Spätere Briefe lesen sich hingegen übermütig und spielerisch.

Auch davon erzählt der Briefwechsel: von dem Wunsch, eine Sprache zu finden für die eigene Existenz, für die menschlichen Begegnungen und die Zeit, in der man lebt. Eine Form jenseits festgefügter Rollen. Diese Haltung hat sich Fritz J. Raddatz auf eigenwillige Weise bewahrt. Nachzulesen in seinen luziden Texten über Peter Weiss, Hubert Fichte, Thomas Brasch, Uwe Johnson – und auf den besten Seiten seines neuen Essaybandes „Schreiben heißt, sein Herz waschen“.

Uwe Johnson/Fritz J. Raddatz: „Liebes Fritzchen“ – „Lieber Groß-Uwe“. Der Briefwechsel. Hg. von Erdmut Wizisla. Suhrkamp, Frankfurt / M. 2006. 340 S., 26,80 €.

Fritz J. Raddatz: „Schreiben heißt, sein Herz waschen“. Literarische Essays. zu Klampen, Hannover 2006. 252 S., 18 €.

Fritz J. Raddatz: Mein Sylt. Mit Fotografien von Karin Székessy, Marebuchverlag, Hamburg 2006. 156 S., 18 €.

Thomas Wild

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