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Kultur: Frühwarnsystem des Fortschritts

Technik als Magie: das Berliner Medienkunstfestival Transmediale.05

Herr Schmidt sieht stolz aus. „Und in diesem Regal platzieren wir das Trockensortiment aus dem Mittagsbereich“, sagt er. Eine gute Idee, finden auch die nickenden Klienten – bis einer von ihnen einwirft: „Und was ist mit den Eiern?“ Allgemeine Ratlosigkeit. Das Bemühen der Verkaufsstrategen, durch die Verteilung der Waren im Supermarkt die Kontingenz des Alltags in den Griff zu bekommen, hat schon etwas Belustigendes. „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ nennt Harun Farocki seinen Film, der Marketingstrategen bei der Arbeit zeigt. Unsere Welt ist nach ihrem Willen reine Benutzeroberfläche. Die diesjährige Transmediale, auf der dieser Film zu sehen ist, möchte solche Oberflächen wieder decodieren und fragt nach den Grundlagen des Lebens: „Basics“ lautet schlicht ihr Motto. Kein wohlmeinender Imperativ also wie noch in den letzten Jahren das „Fly Utopia!“ oder das „Play Global!“. Wesentliches soll im Mittelpunkt stehen. Damit ist nicht etwa ein „Festhalten an Wertesysteme und Gewissheiten“ gemeint, wie der künstlerische Leiter Andreas Broeckmann sagt. Vielmehr sollen die „neuen Grundlagen des gesellschaftlichen und moralischen Handelns“ hinterfragt werden. „Next level basics“, so müsste das Motto also vervollständigt werden.

Dass die 18. Transmediale nicht in eine konservative Starre verfällt, verhindert schon die Wahl der Waffen: Technologie wird in den zahlreichen Installationen, Performances und Workshops mit Hilfe von Technologie erfahrbar gemacht und in Frage gestellt. So reagiert beispielsweise das „Sky Ear“ des britischen Künstlers Usman Haque auf die elektromagnetischen Wellen, die uns umgeben. Die selbst leuchtenden Luftballons, die am Eröffnungsabend vor dem Haus der Kulturen der Welt schwebten, verändern je nach aktuell elektromagnetischem Feld Farbe und Leuchtkraft und werden durch die Handys der Zuschauer beeinflusst. Auch der „Corporate Fallout Detector“ des US-Amerikaners James Patten macht Hintergründe sichtbar. Mit dem museal wirkenden Gerät kann ein Supermarktkunde durch Scannen der Strichcodes handlungsleitende Informationen zu ökologischem und ethischem Verhalten der Hersteller gewinnen. Pattens ironische Donquichotterie drückt den Wunsch aus, Benutzeroberflächen zu durchdringen, zurückzuschauen und sich damit gegen Manipulationsversuche der Verkaufspsychologen, wie sie Farocki zeigt, zu wehren.

Hortensia Völckers von der Kulturstiftung des Bundes – die die Transmediale fördert – fantasiert in ihrer Eröffnungsrede gar von Fernsehen, das dem Zuschauer automatisch die moralische Integrität eines Politikers anzeigt. Die Frage nach Grundlagen, Grundsätzen und Grundrechten ist immer auch die Frage nach Informationshoheit. Und so nähern sich viele Arbeiten und Diskussionsveranstaltungen auf diesem Festival dem Thema Überwachung und Sicherheit. Manchmal jedoch erzeugen die subversiven Gegentaktiken der Künstler genauso großes Unbehagen wie die Vorstellung von einem staatlichen Informationskartell. So etwa das Miniflugzeug der slowenischen Gruppe Makrolab: Die mit Überwachungstechnik ausgestatte Aufklärungsdrohne soll zur „zivilgesellschaftlichen Gegenaufklärung“ eingesetzt werden, etwa zur Beobachtung von Polizeieinsätzen. Doch mit welcher Legitimation?

Viele der hier ausgestellten Kunstwerke erzeugen wieder nur neue Oberflächen. Die Technologie bleibt so abstrakt, dass sie nur noch als Magie erfahrbar ist: ein Leuchten, Flimmern, Knattern. Es macht Spaß, diese Magie sinnlich zu erleben. Verlieren wird sich der Besucher dabei nicht. Die Transmediale ist keine Computermesse, keine Expo, keine Funkausstellung. Die politischen Dimensionen der Arbeiten, die Diskussionen und Vorträge machen immer wieder deutlich, dass Technik eben nicht Magie ist, auch nicht urwüchsiger Selbstzweck, dass sie menschlich genutzt werden muss. Broeckmann traut gerade der Medienkunst zu, „Frühwarnsystem des technischen Fortschritts“ zu sein. Am nächsten kommt den Basics des Lebens allerdings der Blick auf diejenigen, die von der Technik ausgeschlossen sind. So zeichnet der inhaftierte Künstler Angelo von Mitgefangenen gebastelte Gebrauchsgegenstände, die das amerikanische Künstlerteam Temporary Services nachbaut: Feuerzeuge als Salzstreuer, Büroklammern als Tauchsieder, Würfel aus Toilettenpapier-Pappmaché. Low-Tech- Kunst, die keine Kunst im engeren Sinne ist.

Auch der Architekt Michael Rakowitz, ebenfalls aus den USA, wollte keinen weiteren „academic bullshit“ produzieren und entwarf eine tragbare Behausung für Obdachlose, die an Belüftungsanlagen von Gebäuden angeschlossen und durch die Abluft beheizt wird. Auf gleich welchem technischen Niveau bleibt Wärme ein menschliches Grundbedürfnis.

Haus der Kulturen der Welt und weitere Orte, bis 8. Februar. Weitere Informationen unter www.transmediale.de

Daniel Völzke

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