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Lebenslinien. Paco Knöllers Gemälde „H457“ stammt aus dem letzten Jahr.

© Jochen Littkemann

Galerie Schulte zeigt Paco Knöller: Unter der Farbhaut

Linien, die voller übernatürlicher Kraft erscheinen: Der zeichnende Maler Paco Knöller stellt neue Arbeiten in der Galerie Thomas Schulte aus.

In der Galerie Thomas Schulte liegt im neun Meter hohen „Corner Space“ die gigantische Skulptur von Leunora Salihu. Das Konstrukt aus Holzfaserplatten sieht aus wie eine riesige, liegende Sanduhr. Die Künstlerin nennt ihr Werk „Urknall“, und der Titel passt nicht nur zu ihrer Skulptur, die Ähnlichkeiten mit dem Teilchenbeschleuniger CERN aufweist. Auch die Malerei von Paco Knöller in den anderen Galerieräumen, dessen Ausstellung den Titel „Atemblau“ trägt, transportiert etwas Außerweltliches.

Die im vergangenen Sommer entstandenen Werke des 1950 geborenen Künstlers setzten seinen Rückzug und eine meditative Versenkung im eigenen Atelier voraus. Der Maler nennt die abstrakten Linien auf seinen Arbeiten Realitätspartikel. Ihre Verbildlichung sieht aus wie eine blaue Welt, in welche die Besucher eintauchen. Das Triptychon „Lidrand des Sees 2“ (37 000 Euro) zeigt eine Symbiose aus Linien und Farben.

Von weitem meint man Flüsse auf einer Landkarte zu erkennen, aus der Nähe offenbart sich aber viel Persönlicheres: Knöllers Linien sind undefinierbar, mit zweideutigen Überschneidungen und trotzdem konkret, wie die eigenen Handlinien. Auf Holz überlagerte Knöller mehrere Schichten von Ölkreide und ritzte die Linien darin ein. Dass er sie tatsächlich in die Farbschichten kratzte, ist nicht sofort offensichtlich. Erst würde man gemalte Striche vermuten. Deutlich wird der Entstehungsprozess mit Blick auf die dunkelblauen Linien in den halb transparenten Farbfeldern: Sie nehmen deren Farbe an und leuchten Grün oder Rot. Aber nicht nur die Einkerbungen bestärken die Assoziationen zu Handlinien. Knöller schafft es, seinen Linien eine Autonomie zu geben: Sie brechen auseinander und finden wieder zusammen. Ähnlich den Strukturen der eigenen Hände, denen die Bündelung von Energien etwa in der Lebenslinie nachgesagt wird, erscheinen Knöllers Linien nicht mathematisch-rational sondern voller übernatürlicher Kraft.

Mit dem Kugelschreiber setzt Knöller blaue Akzente

Die Aura dieser farbigen Arbeiten macht deutlich, weshalb der Künstler zu den wichtigsten Zeichnern seiner Generation gehört. In den siebziger Jahren studierte er unter anderem in Düsseldorf bei Joseph Beuys, 1987 ließ er sich in Berlin nieder. „Atemblau“ ist seine inzwischen sechste Ausstellung in der Galerie. Nur wegen seiner Professur an der Bremer Kunstakademie verließ er bis 2013 die Hauptstadt regelmäßig.

Neben den vorwiegend blauen Werken sind 41 Zeichnungen der Serie „Aufwachraum“ ausgestellt (je 2800 Euro). Bei der Beschreibung der Papierarbeiten aus den vergangenen zwei Jahren weist Knöller auf den im Titel implizierten Wachzustand hin – im Gegensatz zur Versenkung bei der Erstellung der blauen Malerei. Die Bleistiftzeichnungen bestehen aus vagen Linien, die mal konkret, mal vorsichtig Wirbel, Kreise und Linien bilden. Trotz der angedeuteten Formen, die Räumlichkeit suggerieren, behalten die Zeichnungen auf magische Weise etwas Eindimensionales. Blaue Akzente, die Knöller meist sparsam mit dem Kugelschreiber setzt, heben einzelne Formen heraus und wirken auf die Bleistiftlinien.

Besonders in einer Zeichnung von 2017 erkennt man diese Dynamik: Ein dunkelblauer „Magnetberg“, wie ihn der Künstler während der Vernissage genannt hat, zieht die Bleistiftakzente auf dem Papier sichtbar an. In der Nähe des Berges formen sie noch Linien, in der Ferne des rechten oberen Bildrandes minimieren sie sich dagegen zu Punkten und Strichen. Der Maler und Zeichner muss dazu gar nicht viel erklären: Steht man vor dem Bild, so meint man, die Energien der Striche und deren lebendige Wechselwirkungen mit dem Dunkelblau sehen zu können.

Galerie Thomas Schulte, Charlottenstr. 24; bis 21. 4., Di–Sa 12–18 Uhr

Lorina Speder

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