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Soll halt die Rechte regieren! Wahlplakate von Netanjahu in Jerusalem.

© imago/ZUMA Press

Israel nach den Wahlen: Gefährliche Hoffnung, harte Liebe

Was sagen junge Israelis zur Wiederwahl Netanjahus und zum ewigen Konflikt mit den Palästinensern? In der Woche nach der Wahl trafen sich deutsche und israelische Schriftsteller in Jerusalem und Haifa. Eine Reportage, mit Stimmen zur Lage.

Es geht wie in einen Schlund hinab, von der Jerusalemer Universität, die auf dem Mount Scopus thront, hinunter in die Steinwüste Ostjerusalems. Obwohl der Himmel leuchtet, hängt eine Schockschwere über dem Land, die sich in allen Gesichtern wie Trauerbeflaggung abzeichnet. Auch in dem von Yiftach Ashekanazi. Der 34-jährige Jerusalemer Schriftsteller gehört zur Linken und möchte den Palästinensern am liebsten sofort die Siedlungen zurückgeben.

Doch der Wahlsieg Netanjahus ist ein Schlag ins Gesicht solcher Ideen. „Wir hatten begonnen, Hoffnung zu haben“, lacht er bitter. „Aber Hoffnung ist in Israel eine gefährliche Sache." Wie ist das möglich? Warum ächzen alle so viel? Warum gewinnt Netanjahu mit einer Selbstverständlichkeit, als sei die Gnade der ewigen Wiederwahl aus der Kohl-Ära auf Eretz Israel niedergefahren?

Der Holocaust, eine universelle Geschichte

Die Frage verleiht unseren Begegnungen an der Jerusalemer Universität eine besondere Note. Mit Schriftstellern wie Yiftach Ashkenazi, Marko Martin, Sarah Stricker und Liat Elkayam will ich mit Studenten über die Anthologie „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen“ sprechen. Das Buch, das ich mit Amichai Shalev zum 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen herausgegeben habe, versammelt 19 Autoren der dritten Generation aus Israel und Deutschland mit Geschichten über ihr Verhältnis zum anderen Land. Während die zweite Generation, etwa David Grossmann oder Amos Oz, trotz aller freundschaftlichen Beziehungen die unüberwindliche, nahezu metaphysische Kluft betonen, die der Holocaust zwischen Juden und Deutschen geschaffen hat, gibt es in den Beziehungen der dritten Generation eine Lässigkeit im Umgang, die an die verpönte „Normalität“ grenzt.

Für Ashkenazi, der in Yad Vashem Workshops zum Holocaust-Gedenken gibt, ist die Shoa heute „keine jüdische oder deutsche Geschichte mehr, sondern eine universelle Geschichte.“ Und Amichai Shalev, 42, dem sein Vater (wie vielen seiner Generation) einst verbot, deutsche Produkte zu verwenden, hat seine Ressentiments durch die Begeisterung für deutsche Popmusik verloren. Er findet: „Wenn Israelis auf Deutsche treffen, ist da eine stärkere Verbindung als zu allen anderen zu spüren.“

Junge Palästinenser beobachten Zusammenstöße mit israelischen Sicherheitskräften nach eine Demonstration, letzte Woche im Dorf Kfar Qaddum bei Nablus in der West Bank.
Junge Palästinenser beobachten Zusammenstöße mit israelischen Sicherheitskräften nach eine Demonstration, letzte Woche im Dorf Kfar Qaddum bei Nablus in der West Bank.

© AFP

Deutschland-Euphorie ist an der Jerusalemer Universität zu spüren

Diese Deutschland-Euphorie, die in den politischen Nachrichten nicht vorkommt, ist auch bei den Studenten an der Jerusalemer Universität zu spüren. Der eine will nach Berlin auswandern, eine andere lernt Deutsch für ihr Studium, viele haben deutsche Vorfahren und einen deutschen Pass. An die Stelle der rituellen Distanz, die dem deutsch-israelischen Verhältnis aus den Anfangstagen der diplomatischen Beziehungen eingeschrieben ist, haben die jungen Israelis in den letzten zehn, fünfzehn Jahren eine fast libidinöse Beziehung zu deutschen Markenprodukten, Fußballvereinen, Bands entwickelt und natürlich zu Berlin. Es scheint, als sei Deutschland zu einem neuen Fluchtpunkt geworden.

Als das Gespräch auf den Wahlausgang kommt, geht ein Stöhnen durch den Seminarraum: „Neuer Tag, gleicher Mist“, winkt ein Student ab. Aber noch einmal: Wenn alle derartig frustriert sind – wer hat dann die Rechten gewählt? Sind es nur die „Arsim“, die bildungsfernen Unterschichten, die von dumpfem religiösen Ressentiment getragen sind?

Der, der am besten Deutsch unter den Studenten spricht, ein Endzwanziger mit blauer Kippa, meldet sich mit dem feinen Lächeln des Siegers zu Wort. Unterschicht? Alles andere als das: Yady studiert deutsche Philosophie und promoviert über Fichte und den deutschen Idealismus. Er ist orthodox, hat Naftali Bennett gewählt, der in seinen Augen als einziger glaubwürdige rechte Überzeugungen vertritt, anders als Netanjahu, der sein Politikerfähnchen in den Wind der Wählerstimmung hängt.

Sollen doch die Rechten regieren! Auch das sagen junge Leute in Israel.

Israelis am 18. März, beim Auszählen der Stimmen aus Übersee.
Israelis am 18. März, beim Auszählen der Stimmen aus Übersee.

© Reuters

Bennett, ein Ex-Militär, Ex-Unternehmer und Multimillionär, verlangt die sofortige Tötung von Terroristen. Für Kritiker hat er Sätze parat wie: „Ich habe in meinem Leben schon viele Araber getötet, das ist gar kein Problem.“ Der sympathische Yady teilt nicht nur Bennetts wirtschaftsliberale Politik, sondern auch dessen Vorschlag, die sogenannten C-Gebiete, also einen Großteil des Westjordanlandes ganz Israel zuzuschlagen. Bevor die islamische Welt nicht ihre eigene Aufklärung durchlaufe, sei mit den radikalen Arabern ohnehin kein Frieden zu machen. Und da das noch ein-, zweihundert Jahre dauere, bleibe den Israelis nur die Politik der harten Hand. Malka, Anfang zwanzig, ist ebenfalls orthodox. Ihre Großeltern stammen aus Stettin. Während ihr Großvater nach der Pogromnacht fliehen konnte, wurde ein Großteil der Familie mütterlicherseits ermordet. Sie hat nicht gewählt, steht aber der Partei des ultraorthodoxen Tora-Judentum nahe. Ihrer Meinung nach ging es bei der Wahl nicht um links oder rechts, sondern um Wirtschaft. „Niemand glaubt, dass irgendeine Partei die Probleme lösen kann.“ Yady widerspricht vehement. „Das wollte uns die Linke verkaufen: Dass die Wirtschaft das Entscheidende sei. Aber es gibt etwas Tieferes als Wirtschaft und Friedensprozess. Viele Leute sind traditionsorientiert und religiös, und die Rechte spricht die Identität der Leute an.“

Sollen doch die Rechten regieren!

Was sagt man dazu? Ein israelischer Forscher des deutschen Israelismus erkennt in den nationalen Botschaften der Rechten eine Antwort auf die „Seelenlage“ seines verunsicherten Landes, das nach Identität sucht. Bei einer anderen Diskussionsrunde hat der Postdoktorand Oded Steinberg eine ähnliche Erklärung für Netanjahus Wahlsieg: „Die Linke hat keine emotionale Antwort für die tiefsitzenden Ängste der Leute. Das Statement: Ach, ihr braucht euch keine Sorgen machen, reicht nicht.“ Oded hat die sozialdemokratische Meretz-Partei gewählt. Seine Großeltern stammen aus Berlin und München, er war Soldat in einer kämpfenden Einheit. „Die Worte Hoffnung und Frieden kommen uns heute völlig seltsam vor. Warum sind diese Worte wie weggefegt? Zum ersten Mal sage ich: Sollen die Rechten doch regieren. Israel gehört euch – nun zeigt uns euer großes Wunder.“

Dank der lässigen Offenheit der Israelis gegenüber Deutschen erlebe ich Israel in diesen Tagen als Land mit zersplitterter Identität, in der eine Handvoll Parallelgesellschaften miteinander auf engstem Raum leben. Die Linke rettet sich bei ihrer Heimatsuche in fatalistischen Zynismus, die Rechte sucht Halt im knallhart nationalen Pragmatismus.

"Harte Liebe" soll Israel wieder auf Kurs bringen

Am Tag darauf, an der Universität von Haifa. Auch sie thront wie ein Leuchtturm des Wissens auf einem Berg, der Blick vom Karmel reicht über die weitgespannte Bucht bis zum Libanon. Keine Stadt hat mehr Nobelpreisträger hervorgebracht. Aber weder dieser Geist noch Haifas vielbeschworener multikultureller reichen aus, um eine politische Lösung für das Land zu ersinnen. Als wir beim Abendessen über das Lichtermeer blicken, sieht Yiftach Ashkenazi nur einen Ausweg: Israel müsse durch die „harte Liebe“ seiner engsten Verbündeten auf den richtigen Kurs gebracht werden. Es ist verblüffend klar, wer damit vor allem gemeint ist – nicht die USA, sondern wir, die Deutschen. Gerade Deutschland müsse Israel durch klare Gesten zu einer Veränderung der Politik zwingen.

Was für eine provozierende Entwicklung, die in der dritten Generation stattgefunden hat! Zehntausende Israelis wandern nach Berlin aus, weil sie von der ewigen Nahostproblematik und den hohen Lebenshaltungskosten genervt sind. Und politische Reformen in ihrer Heimat erhoffen sich manche ausgerechnet aus dem Land der Täter.

Norbert Kron ist Schriftsteller und lebt in Berlin. Mit Amichai Shalev hat er die Anthologie „Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen.“ herausgegeben, in der israelische und deutsche Autoren über das jeweilige andere Land schreiben. Das Buch erscheint bei S. Fischer, 320 S., 18,99 €.

Norbert Kron

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