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Anna Netrebko bei einem Auftritt in Prag.

© Michaela Øíhová/CTK/dpa

Anna Netrebkos Bayreuth-Absage: Genesungswünsche statt Spott und Häme

Über Anna Netrebkos Bayreuth-Absage machen sich gerade viele lustig. Dabei ist Musik zwar ein Millionengeschäft, kündet aber auch von Empathie. Eine Glosse.

Kehlkopfentzündung. Der Klassiker. Wer singt und deshalb Fans hat, kommt um so eine Laryngitis praktisch gar nicht herum. Könnte man jedenfalls meinen, wenn man die Namensliste liest. Rihanna, Bryan Ferry, Klaus Meine, Thomas Quasthoff, Adele oder im April in Berlin the one and only Anna Netrebko – sie alle haben schon mal still halten müssen, wegen des Kehlkopfs. Meistens kurzfristig, auf dringenden ärztlichen Rat.

Es kann auch Erschöpfung sein, wie jetzt bei Netrebkos Bayreuth-Absage, die in den sozialen und den übrigen Medien gerade so heftig bemeint wird. Oder eine hartnäckige Infektion, wie 2018 bei den sieben gecancelten Auftritten von Helene Fischer. Jonas Kaufmann meldete sich im Mai bei der Pariser Opéra Bastille ab, wegen starken Hustens, nachdem er sich verschluckt hatte. No show von Kaufmann zuletzt auch in München. Und die Popwelt bangte um Sting: Der Ex-Police-Frontmann enttäuschte im Juli zigtausende Fans in Belgien, Stuttgart, München, Bonn... Laryngitis, wurde gemunkelt.

Was sind Verträge noch wert?

Wer einen Ausfall annonciert, braucht für Ausfälle nicht zu sorgen. Spott und Häme folgen auf den Fuß, meistens mehr als freundliche Genesungswünsche. Überraschung!, twittern nicht wenige zur Absage von Netrebkos Bayreuth-Debüt, auf das die Musikwelt seit Jahren wartet. Der britische Musikpublizist Norman Lebrecht kolportiert in seinem Blog, die Diva sei mit ihrem Ehemann Yusiv Eyvazov auf dem Weg nach Baku, Eyvazovs Heimatstadt in Aserbeidschan, for some social life. Der Tenor habe gerade seinen „Tosca“-Auftritt in der Arena von Verona abgesagt, aus gesundheitlichen Gründen.

„Was sind Verträge dieser Tage noch wert?“, fragt Lebrecht. Es soll Ehegatten geben, die sich umeinander kümmern, wenn es dem anderen schlecht geht. Berühmte Leute dürfen das nicht? Außerdem lügen die sowieso? Was wurde über Netrebko nicht alles geschrieben, als sie 2012 in Berlin den „Don Giovanni“ absagte, wegen ihres kleinen Sohns Tiago? Staatsopern-Intendant Jürgen Flimm verteidigte sie mit dem Hinweis, andere berufstätige Mütter gingen auch mal wegen der Kinder früher nach Hause.

Hinter jedem Niesen lauert die Katastrophe

Gelten im Showgeschäft andere Maßstäbe? Einerseits ja, wegen der Verpflichtung gegenüber den Fans und der exorbitanten Gagen. Sting hat sich gerade ein 96-Millionen-Dollar-Penthouse in New York gekauft. Dafür kann das Publikum auch was erwarten. Andererseits nein, denn Musik ist ein Millionengeschäft, aber sie kündet bei allen Extrem-Emotionen immer auch von Empathie. Das menschliche Maß ausgerechnet bei Musikern zu verlieren, wäre pervers. Wer singt, hat nur dieses eine hochempfindliche Instrument: den eigenen Körper. Hinter jedem Niesen lauert die Katastrophe.

Trotzdem wäre es naiv zu glauben, Diven-Allüren existierten nur im Fantasiereich der Operette. Kunst kommt nicht von kapriziös, aber das Besondere an den geliebten Stars ist ohne ihre besondere Sensibilität nun mal nicht zu haben.

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