
© Georges Adéagbo / VG Bild-Kunst, Bonn 2022; Foto: Andreas Weiss
Georges Adéagbo im Hamburger Ernst Barlach Haus: Einmal Benin und zurück
Ernst Barlach trifft auf Afrika: Der aus Benin stammende Bildhauer und Arrangeur Georges Adéagbo beflügelt den Expressionisten mit seiner Schau.
- Nicole Büsing
- Heiko Klaas
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„Man muss etwas machen, und die anderen es dann sehen und darüber reden lassen,“ sagt Georges Adéagbo und erklärt seine Arbeitsweise: „Jeden Tag, wenn ich spazieren gehe, finde ich weggeworfene Dinge und nehme diejenigen mit, die zu mir sprechen. Mit ihnen erzähle ich eine Geschichte.“ Das Hamburger Ernst Barlach Haus hat den westafrikanischen Künstler nun eingeladen, mit den Werken des expressionistischen Bildhauers in Dialog zu treten.
Es ist eine Art Geburtstagsgeschenk zum 80. von Adéagbo im vergangenen Jahr, denn schon länger interessiert sich der seit vielen Jahren abwechselnd in Cotonou in Benin und Hamburg lebende Künstler für das Werk des norddeutschen Bildhauers und Dramatikers (1870-1938). Karsten Müller, Direktor des Barlach Hauses, waren die Barlach-Anspielungen bereits in früheren Arbeiten Adéagbos aufgefallen. So entstand die Idee, ihn mit seinen raumgreifenden Materialassemblagen ohne kuratorische Vorgaben in dem Hamburger Museum sich ausbreiten zu lassen.
Müller hat sich damit einen Star ins Haus geholt, denn seit seiner Teilnahme an der Biennale in Venedig 1999 und der von Okwui Enwezor kuratierten Documenta 11 drei Jahre später gilt er als einer der wichtigsten aus Afrika stammenden zeitgenössischen Künstler unserer Zeit.
Für seine Ausstellung „À l’ école de Ernest Barlach, le sculpteur“ hat der Sammler, Flohmarktgänger und Arrangeur aus dem Vollen geschöpft: Schlager-LPs, populärwissenschaftliche Bücher über Afrika, aktuelle Zeitungs- und Magazincover, Postkarten, Groschenromane, Kunstbände, Barlach-Kataloge und -Schriften, Landkarten, Souvenirs aus Afrika, Masken und andere Kultgegenstände bilden die visuelle Folie, vor der rund 50 Barlach-Werke aus der Sammlung des Hauses präsentiert werden.
Darunter befinden sich so berühmte Holzskulpturen wie „Der Berserker“, „Der Rächer“ oder „Moses“. Manche Fundstücke hat Adéagbo einfach nur an die Wand gepinnt oder auf den Boden des Ausstellungsraums gelegt. Andere sind zu neuen Bedeutungszusammenhängen in Vitrinen verdichtet oder auf Orientteppichen arrangiert.
Alles scheint mit allem verbunden zu sein. Die versammelten Objekte stehen in vielfältigen Beziehungen zueinander: zu ihren Produzenten, zum Raum und institutionellen Kontext, in dem sie ausgestellt sind. Das All-over narrativer Verästelungen bildet den Humus für Adéagbos transkulturelle Botschaften. Für sich allein betrachtet blieben viele dieser Gegenstände ohne weitere Bedeutung.
Erst durch ihr Zusammenspiel erzeugen sie ein komplexes Netzwerk, das in den Kosmos des Künstlers: seine persönlichen Erinnerungen, politisch-gesellschaftlichen Fragestellungen und philosophischen Reflexionen. Durch seine spezifische Kombinatorik gelingt es Adéagbo immer wieder vorgefundene Räume neu zu definieren. Vorstellungen von fluider, transkultureller Identität und afrikanischer Diaspora kommen darin vor.

© Andreas Weiss
Besonders sichtbar wird das an einer Reihe von Auftragsbildern, die Adéagbo bei Reklamemalern in seiner Heimat bestellt hat. Ausgehend von Postkarten übertrugen sie Barlach-Skulpturen in Malerei – kleine Übersetzungsfehler inklusive.
Der weihevollen Ernsthaftigkeit, ja bleiernen Schwere von Barlachs Skulpturen setzt der Weltbürger Adéagbo auf diese Weise ganz neue, erfrischende Nachbarschaften entgegen. Den wohlwollenden Respekt vor dem Lebenswerk seines Künstlerkollegen lässt er dabei jedoch an keiner Stelle vermissen.
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