
© Staatliche Graphische Sammlung München / Gerhard Richter
Gerhard Richter in München: Auch auf Papier ein Meister
In München überrascht Gerhard Richter mit einer Ausstellung aktueller Zeichnungen in der Pinakothek der Moderne. Der 93-Jährige befindet sich noch immer auf der Suche nach neuen Bildwelten.
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Vor acht Jahren gab Gerhard Richter bekannt, er habe seine letzten Bilder gemalt. Er war 85 Jahre alt und sagte, er empfinde die Malerei als ermüdend. Fortan wolle er sich dem Zeichnen widmen. Jetzt ist der Mann 93 Jahre alt und denkt nicht ans Aufhören. In der Münchner Pinakothek der Moderne zeigt der Maler, dass er mit Blei- und Buntstift, Radiergummi und Farbkreide auf Papier genauso virtuos umgeht wie früher mit Rakel und Ölfarbe auf Leinwand.
Abstrakt sind seine Arbeiten immer noch, oft klein und zart auf DIN A4-Papier komponiert, und wie früher leitet ihn der kalkulierte Zufall. Seine Ausbrüche aus Aquarell- und Tintenklecksen bezwingt er mühelos mit scharfen Strichen oder feinen Schraffuren. Einige erinnern in ihrer Zartheit an Ingres, andere erwecken den Eindruck, als würde man auf Bergketten und Wälder blicken. Doch jede Werkgruppe ist von sorgfältig gesetzten Linien durchzogen – eine abstrakte Architektur, die solche Andeutungen in Schach hält.
Es gibt expressive Krakellandschaften und farbintensive, malerische Bildfetzen. Und wer bei diesen kleinen Unikaten in Mischtechnik an Urknall, Unterwassersumpf oder Wolkendramen denkt, liegt nicht falsch, freies Assoziieren ist erlaubt. Selbst im hohen Alter ist Gerhard Richter in seinem Kölner Atelier immer noch auf der Suche nach perfekten Bildwelten, in denen sich der Betrachter verlieren kann. Das Medium Zeichnung lotet er dabei aus und schafft neue Kunstkonzepte, wo andere Widersprüche sehen.
Richter hat die Zeichnungen selbst ausgewählt
„Er collagiert zum Beispiel mit Zeichnungen“, erklärt Michael Hering, der Leiter der Graphischen Sammlung in München. „Das heißt, er druckt Aquarelle oder Kohle-Akkumoulagen von Hell und Dunkel und arbeitet darin zeichnerisch weiter.“

© Staatliche Graphische Sammlung München / Gerhard Richter
Dass der Kunsthistoriker den teuersten lebenden Künstler zu einer Ausstellung nach München locken konnte, nennt Hering „Glück“. Richter kennt die Räume, vor fünf Jahren hat er schon einmal in der Pinakothek der Moderne, wo die Graphische Sammlung untergebracht ist, ausgestellt. Als Michael Hering dann in Köln ein Katalog von Richters neuen Zeichnungen in die Hände fiel, fragte er sofort den Verleger, ob er diese ausstellen könnte. Der verwies ihn an den Künstler selbst.
Hering schrieb Richter, bot ihm kurzfristig eine Ausstellung an und erhielt prompt die handschriftliche Antwort: „Das interessiert mich sehr“, schrieb Richter. Die Schau mit den 81 neuen Zeichnungen Gerhard Richters war gesetzt. Die Auswahl der Werke aus den letzten drei Jahren traf der Künstler selbst.
Für München hat der Weltstar zudem eigens ein großes Streifenbild hergestellt, um die Ausgewogenheit der Räume zu gewährleisten. Je näher man herantritt, desto stärker scheint der Boden unter einem zu vibrieren. Das zwei mal vier Meter große „Strip-Bild“ entstand am Computer. Richter zerlegt dafür frühere abstrakte Malerei in winzige, langgestreckte Streifen, die er neu sortiert und als Inkjet-Druck auf Alu-Dibond montiert. Auch der Idee, in der Vitrine am Eingang seine 2017 entstandene Foto-Edition eines Totenschädel-Gemäldes zu platzieren, stimmte er zu. Das Memento Mori ist auf einen Spiegel gedruckt.
Wie ein Alterswerk wirkt die Schau nicht. Schade nur, dass sich das Museum wohl keine der 81 Zeichnungen Richters leisten kann. Seit Dezember 2022 vertritt die New Yorker Galerie Zwirner das Werk des Künstlers. Eine Ausstellung in der Pariser Dependance ist bereits geplant. Aber vielleicht bringt auch diesmal wieder der Förderverein die fünfstellige Summe für ein Blatt auf, das als Leihgabe im Museum landet.
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