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Phantasmagorie: Hoffmann (Matthew Pena, l.) verfällt der Puppe Olympia (Ji-Hyun An).

© ZB

"Hoffmanns Erzählungen" in Rheinsberg: Gesänge der Nacht

Dichterliebe, Dichtertod: Jacques Offenbach, der Operettenkönig der Champs-Élysées, hat erst am Ende seines Lebens eine Oper geschrieben: "Hoffmanns Erzählungen". Jetzt führt die Kammeroper Schloss Rheinsberg das Stück auf.

Wie höllisch schwer ist diese Partie zu singen und zu spielen. Die Amerikanerin Ji-Hyun An macht das im Heckentheater des Rheinsberger Schlosses ganz wunderbar. Olympia heißt die Puppe, die sie darstellt, der Dichter E.T.A. Hoffmann hat sich in sie verliebt, ohne zu bemerken, dass sie nur eine Maschine, ein „Automat“ ist. Physiker Spalanzani (Timo Rößner) tippt ihr zweimal auf den Rücken, schon erwacht sie zum Leben, hebt die Arme ruckelnd in die Höhe, lüpft den Reifrock, kreist, tanzt und singt, mechanisch zuckend, schwierigste Koloraturen: „Die Vöglein in den Laubengängen / Am Himmelszelt der Sonnenball / Alles spricht dem jungen Mädchen / Spricht dem jungen Mädchen von der Liebe“. Wärmende Worte eines kalten, seelenlosen Apparats. Hoffmann verfällt ihm rettungslos und macht sich lächerlich. Der fantastische Auftritt von Ji-Hyun An ist der Höhepunkt dieser an beeindruckenden Frauenstimmen so reichen Rheinsberger Nacht.

Um Frauen dreht sich alles in Jacques Offenbachs einziger Oper „Hoffmanns Erzählungen“. Antonia, Olympia und Giulietta sind Variationen der einen Frau, die Hoffmann liebt: Stella. Idealerweise sollten sie von derselben Sängerin gesungen werden, was sich in der Theaterpraxis kaum je durchführen lässt (Joan Sutherland hat es getan). Bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg ist daran noch viel weniger zu denken, dort will man ja gerade möglichst viele junge Künstler präsentieren. Also treten drei formidable Sängerinnen auf: Justyna Samborska als Antonia, die sterben muss, wenn sie anfängt zu singen, Lingyuan Gao als rot flammende Kurtisane Giulietta und eben die zierliche und doch überlebensgroße Ji-Hyun An.

"Hoffmanns Erzählungen" gehört zu den großen Unvollendeten der Musikgeschichte

Flankiert werden sie von drei dämonischen, wahrlich Hoffmann’schen Männerfiguren: Dr. Mirakel (Younjin Kim), Dappertutto (Jorge Alberto Martínez) und Tobias Peschanel als langhaarig-schmieriger Brillenverkäufer Coppelius. Die Forderung, verwandte Charaktere des Stücks mit dem gleichen Sänger zu besetzen, erfüllt einzig Matthias Koziorowski: Wie er als Diener Franz den Herren rauskehrt, als Cochenille arrogant über die Bühne schwänzelt und als Pitichinaccio furchterregende Grimassen schneidet, hat große Klasse. Schade nur, dass Hoffmann selbst weniger überzeugt: Matthew Pena singt mit eigentlich schönem, aber dünnem lyrischen Tenor, den versponnenen, manisch liebenden Dichter der Romantik sucht man bei seiner stumpfen Ausstrahlung vergeblich. Aber die Brandenburger Symphoniker begleiten feinfühlig, Leo Siberski am Pult betont klug den musikalischen Fluss, statt sich mit Verve auf einzelne besonders populäre Nummern zu schmeißen. Wacker schlägt sich der neugegründete Rheinsberger Festivalchor.

Die Musikwelt liebt die großen Unvollendeten: Mozarts Requiem, Schuberts h-Moll-Symphonie, Bergs „Lulu“. Auch „Hoffmanns Erzählungen“ ist so ein Fall. Offenbach starb über der Komposition, aber gerade weil es Fragment ist, gilt das Stück als besonders modern, als Vorläufer von Umberto Ecos „offenem Kunstwerk“. Im Heckentheater sind die Möglichkeiten von Regisseur Matthias Oldag begrenzt, er grenzt die Akte im Wesentlichen nur durch wechselnde Vorhänge im Hintergrund voneinander ab. Später aber nutzt er auch die Tiefe der Bühne, lässt den Chor in Rüschen, Federboas und Strapse nach vorne stürmen (Kostüme: Barbara Blaschke). Üblicherweise verzichtet Hoffmann am Ende auf Stella, um sich ganz der Muse (Meredith Nicoll) zu widmen. Bei Oldag jedoch hat auch sie das Nachsehen: Hoffmann stirbt. Was in der Oper, vor allem im Antonia-Akt, schon angelegt ist, wird hier konsequent zu Ende gedacht: Die Kunst kostet das Leben.

wieder am 6., 7., 9. und 10. August

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