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Meister der Mahler-Renaissance. Der niederländische Dirigent Bernard Haitink.

© Todd Rosenberg

Bernard Haitink bei den Berliner Philharmonikern: Glühende Messer

Bernard Haitink musiziert Mahler mit den Berliner Philharmonikern. Selten hat man die Macht der Einzelstimme so deutlich vernommen wie in dieser Aufführung.

Inmitten der Standing Ovations, die ihm in der Philharmonie zugejubelt werden, klappt Bernard Haitink am Pult die Partitur zu. Die Geste scheint die Geheimnisse der Komposition zu versiegeln und zu sagen, dass alles gerade Gehörte und Erlebte diesem Werk zu danken sei. Es ist die Symphonie Nr. 9 von Gustav Mahler. Seit er in den Sechzigern mit dem Concertgebouworkest einen kompletten Mahler-Zyklus zum Schallplattenerfolg promovierte, steht der niederländische Dirigent im Zentrum der Mahler-Renaissance. Sie zu beflügeln und zu bewahren, ist ihm ein Lebensthema. Das bestimmt auch seine stetige Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern seit 1964.

Heute ist er 88 Jahre alt und dirigiert die letzte vollendete Partitur von Mahler, eine polyphone Parforcetour. „Die eine Neunte geschrieben haben, standen dem Jenseits zu nahe“, hat Arnold Schönberg bemerkt. So steht das Werk für Vergänglichkeit, Abschied, Trauerarbeit.

Haitink lädt die Musiker zum solistischen Hervortreten ein

Was aber die Interpretation der Philharmoniker unter Haitink bestätigt, ist ein weiteres Schönberg-Wort, nämlich dass Mahler „nur hinschreibt, was unbedingt nötig ist“. Selten hat man die Macht der Einzelstimme, die polyphone Vielfältigkeit deutlicher vernommen als in dieser Aufführung. Souverän lädt Haitink die Musiker zum solistischen Hervortreten ein, zu dem auf alle Stimmen verteilten Prozess der Wandlung. Sorgsam steuert er auf den ersten Höhepunkt mit allen Blechbläsern zu, der im Zeichen seiner dirigentischen Sachlichkeit bleibt wie der „schwere Kondukt“ und die Reprise mit dem schwebenden Flötensolo Michael Hasels. Im Ländler-Satz, wo die Violine von Noah Bendix-Balgley glitzert, lassen nicht nur die wienerischen Vokabeln in der Atmosphäre an Arthur Schnitzler denken, während im Orchester andere Stimmen „ins Grauenhafte, ins Grauen“ (Götz Teutsch in der Einführung) stoßen.

Haitink stellt das alles zur Diskussion, glühende Messer des Klanges. Er liest die Partitur, lässt aber die Frage nach einer Vision in seiner eher musikalisch-absoluten Weise offen. Ähnlich ist seine Sicht auf die Szenerie der gespenstischen Rondo-Burleske, die sich lichtet, um mit großer Melodie das Adagio vorwegzunehmen. Wenn sich die Musik schon in der Unendlichkeit befindet zwischen „drängend“ und „ersterbend“, dominiert Haitinks Haltung, den interpretatorischen Ich-Ton zu meiden. Das ist seine Art, der Musik werktreu zu dienen und ihre Schönheiten mit den Philharmonikern zu beleuchten.

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