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 Gijs Leenaars am Samstag in der Passionskirche.

© Kai Bienert

Musikfest: Gijs Leenaars und der Rundfunkchor: Gottes Geist und Atem

Einstand in intimem Rahmen: Am Samstag hat Gijs Leenaars sein erstes offizielles Konzert mit dem Berliner Rundfunkchor in der Kreuzberger Passionskirche geleitet.

„Meine Seele erhebet den Herrn“. So beginnt Heinrich Schütz’ „Deutsches Magnificat“ auf einen Text des Lukasevangeliums – und auch die Seele von Gijs Leenaars dürfte sich erhaben gefühlt haben, markiert dieser Augenblick in der Kreuzberger Passionskirche doch den offiziellen Einstand des 37-Jährigen als Chefdirigent des Berliner Rundfunkchors. Ein anspruchsvolles geistliches A-cappella-Programm (nur gelegentlich und eher beiläufig begleitet von Cello, Kontrabass und Orgel) hat er für seinen Chor ausgesucht: neben Schütz auch Johann Sebastian Bach und Arnold Schönberg. Dessen Werk war, neben dem von Carl Nielsen, Schwerpunkt beim diesjährigen Musikfest, das am Sonntag zu Ende ging und zu dem dieses Konzert gehört.

Zwei überragende Figuren protestantischer Kirchenmusik des 17. und 18. Jahrhunderts und einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, der spät seine jüdische Identität entdeckt hat – das bietet reichlich Raum für Spannungen, inhaltliche wie musikalische. Wenn Schütz zum Beispiel sein „Magnificat“ mit der Trinitätsformel „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und auch dem Heiligen Geiste“ beschließt, dann kann das natürlich kein Anhänger jüdischen Glaubens akzeptieren – Jahwe oder JHWH ist nicht dreigeteilt. Und welche musikgeschichtlichen Welten liegen nicht zwischen Schütz, der noch ganz vokalbasiert komponiert, und Schönberg, für den als Erbe des 19. Jahrhunderts der Vorrang instrumental gedachter Musik außer Zweifel steht.

Zum späten Beginn um 22 Uhr senkt sich der Gesang von oben, vom Rang herab auf die Besucher in der ausverkauften Kirche. Erster Eindruck: Klangschönheit, Homogenität, das spielerische Ineinandergreifen und Lösen der Stimmgruppen sind unter Leenaars noch genauso betörend wie unter seinem Vorgänger Simon Halsey. Was dem Niederländer (noch?) abgeht, ist die emphatische, mitreißende Dirigiertechnik des Briten, Ausdruck eines die Werke mit ganzem Herzen und ganzer Seele umgreifenden Gemüts. Leenaars, Spross niederländischer Chortradition mit Ausbildung in Nijmegen und Amsterdam, dirigiert mit strenger Selbstkontrolle, sehr präzise, aber auch ein bisschen nüchtern.

Mit Schönberg, in dessen „Dreimal tausend Jahre“ auf ein Gedicht von Dagobert Runes, fremdelt der Chor zunächst spürbar, da fehlt es am letzten Biss. Oder ist das nur Ausdruck eines an Schönbergs expressiver Oper „Moses und Aron“ geschulten Hör(miss-)verständnisses? Wie dann jedenfalls in Bachs Motette „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“ (BWV 226) auf einen Paulustext aus dem Römerbrief die bewegte Melodieführung durch die Stimmen wandert, den ganzen Raum mit Gottes Atem füllt, berührt zutiefst. Eine im Ganzen geglückte Premiere für Leenaars in kleinem, fast intimem Rahmen. Die große Philharmonie wartet.

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