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Kultur: Grausame Kinder

Norbert Bisky galt lange als Provokateur. Jetzt wird der Maler mit einer Einzelausstellung gefeiert

Es ist ein Sturz ins Bodenlose, aber diese jungen Männer scheinen ihn zu genießen. Sie taumeln, fallen, purzeln mit durchgestreckten Armen und Beinen oder wild zappelnd durcheinander, man glaubt, ihre juchzenden Glücksschreie zu hören. Hinter den nur von knappen Badehosen bedeckten Körpern, die sich zu einer schwungvollen Girlande formiert haben, züngeln rote Flammen. Norbert Biskys Gemälde, auf dem ein gutes Dutzend weißblonde Jungs wie flügellose Engel ins Nichts stürzen, heißt hübsch ironisch „ganz schön runter“. Es erinnert an Michelangelos „Höllensturz“ und an Leni Riefenstahls Fotos von den Turmspringern der Olympiade 1936. Aber Bisky geht es nicht, wie Michelangelo, um Verdammnis oder, wie Riefenstahl, um Heroismus. Er spielt virtuos mit den Traditionen der Kunstgeschichte und feiert, der Titel deutet es an, die Schönheit.

Abstürze gehören zu den Leitmotiven von Biskys Malerei. Im Hintergrund seiner monumentalen, bis über vier Meter breiten Bilder, die stets von sehr blonden, sehr blauäugigen Jugendlichen bevölkert werden, sind immer wieder Flugzeuge oder Hubschrauber zu sehen, die im Sinkflug ein brennendes Hinterteil hinter sich herziehen. Manchmal sind es auch selber blonde Jungs, die da als bizarre Mischwesen aus Mensch und Maschine flammend ihrem Aufprall entgegenstürzen. Die Pointe der ersten großen Einzelausstellung, die unter der schlichten Überschrift „Malerei“ Biskys Werk im Künstlerhaus Bethanien präsentiert, ist die lebensgroße Skulptur eines Mannes, der kopfüber von der Decke baumelt: ein moderner Ikarus in der Normaltracht eines Angestellten.

Ein Selbstporträt? Bisky ist ein Shootingstar des Kunstmarktes, sein Aufstieg war steil, doch vor dem Absturz muss er sich nicht wirklich fürchten. Der 1970 in Leipzig geborene Sohn des PDS-Vorsitzenden, Meisterschüler von Georg Baselitz an der Berliner HdK, wird von den Sammlern geliebt, seit der Berliner Galerist Michael Schultz im Jahr 2001 zum ersten Mal seine sonnendurchfluteten, scheinbar idyllischen Szenen schöner junger Männer bei Sport und Spiel zeigte. Biskys Gemälde erzielen Preise im fünfstelligen Euro-Bereich, oft sind sie schon verkauft, bevor die Farbe trocken ist. Doch der Künstler blieb angesichts des Booms, den seine Bilder auslösten, gelassen. Er ist alles andere als ein Schnellmaler, weil eine lichte, an Aquarelltechniken erinnernde Prozedur keine Korrekturen zulässt, verwirft er viele Arbeiten. „Heute“, sagt er, „gebe ich weniger Bilder heraus als früher.“

Bisky galt lange als Provokateur. Kritiker fühlten sich von seinen Bildern mit ihren „sehr deutsch wirkenden“ Helden – so die „taz“ – an die ästhetischen Hinterlassenschaften von gleich zwei deutschen Diktaturen erinnert: an die Blut-und-Boden-Malerei des Dritten Reiches und den Sozialistischen Realismus der DDR. Bisky spielt tatsächlich mit Elementen totalitärer Propaganda. Auf dem Gemälde „Barbecue“ zeigt er eine Gruppe junger Männer laufend, ringend, turnend wie bei einer Wehrsportübung, und stellt einen Trompeter daneben, der im HJ- oder Jungpionier-Lager zum Appell blasen könnte. Auf einem „Morgen früh“ betitelten Bild stemmen blonde Sportler schlagbaumartige Hindernisse zur Seite und gemahnen dabei fatal an die Aufnahmen deutscher Soldaten beim Überfall auf Polen.

Doch wer Biskys Bilder unter Ostalgie- oder gar NS-Verdacht stellt, hat nicht genau hingeschaut. Vom platten Realismus, der sich in den Dienst einer Ideologie stellen ließe, sind sie weit entfernt, den Körperkult, den sie zeigen,verherrlichen sie nicht, im Gegenteil: Sie kritisieren ihn. Klischees benutzt Bisky, um sie zu entlarven. „Übertreibung ist die einzige Möglichkeit, sich überhaupt zur Wehr zu setzen“, sagt er. „Wir werden mit einem Bild von Jugend bombardiert, und jeder, der davon abweicht, muss sich zu Hause vor dem Spiegel ernsthafte Fragen stellen.“ So wirken die Protagonisten seiner Tableaus denn auch nicht wirklich heroisch, sondern eher monströs, in ihrer zombiehaften Gestähltheit erinnern sie an den Horrorfilm „Das Dorf der Verdammten“, in dem grausame Kinder – allesamt weißblond – ein Schreckensregime errichten.

Biskys Gemälde werden immer morbider. In Bildern wie „Scheiß Spiel“ zeigt er seine blonden Jungs mit abgerissenen Köpfen, wie ein Kind, das nach einiger Zeit den Gefallen an seinem Lieblingsspielzeug verloren hat und es lustvoll zerstört. Die neueste Arbeit in der Ausstellung, erst kurz vor Eröffnung fertig geworden, ist in ihrer düsteren Albtraumartigkeit kaum noch zu überbieten: Ein Mönch in Ku-Klux-Klan-Tracht hält ein weißes Kreuz vor einem blutrot flammenden Himmel empor, neben ihm steckt ein abgetrennter Kopf auf einem Grab. Titel: „Krieg statt ficken“.

Das Bild hängt genau in der Achse des zweigeschossigen Ausstellungsraums, dort, wo früher der Altar stand. Als das Bethanien noch als Krankenhaus fungierte, war hier die Kapelle untergebracht. Die sakrale Aura des Raums passt gut zu Biskys Bildern, die sich immer wieder auf die Größen der Kunstgeschichte beziehen. Technisch ist Bisky ein Meister. Er kennt die Klassiker. „Die habe ich im Kopf“, sagt er selbstbewusst.

Künstlerhaus Bethanien (Mariannenplatz 2, Kreuzberg), bis 29. Mai, Mi–So 14–19 Uhr.

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