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Seit 40 Jahren ein Symbol für euopäische Verständigung. Das EU-Jugendorchester.

©  Peter Adamik/EUYO

EU-Jugendorchester soll aufgelöst werden: Grenzenlos bürokratisch

Sir Simon Rattle protestiert, ein Flashmob formiert sich - trotzdem will die EU kein Geld mehr für ihr European Union Youth Orchestra ausgeben.

Wenn es um Grußworte geht, sind sie alle schnell dabei: Parlamentspräsident Martin Schulz, der Kommissar für Kultur Tibor Navracsics oder auch Jean-Claude Juncker, der Präsident der Kommission. Das EUYO, das European Union Youth Orchestra, sei ein Symbol für Europa, Vorbild, Botschafter, Inspiration und was noch alles dieses Orchester nach den Worten der höchsten EU-Repräsentanten bedeuten sollte. Damit könnte es nun sehr bald vorbei sein – und das wäre dann in der Tat eine Art Selbstmord der Europäischen Idee und ein deutliches Zeichen dafür, was an der Umsetzung europäischer Kulturpolitik gründlich schiefläuft.

Das EUYO hat vor wenigen Tagen bekannt gegeben, dass es ab 2016 keine Zuwendung mehr aus dem Kulturprogramm der EU bekommt. Einem Beschluss des Europäischen Parlaments folgend wurde es 1976, vor genau 40 Jahren, von Joy und Lionel Bryer gegründet. 1978 fand die erste Tournee statt, mit Claudio Abbado, der erster Musikdirektor des Orchesters wurde. Das Orchester hat mit weiteren Weltstars wie Leonard Bernstein, Daniel Barenboim, Herbert von Karajan gearbeitet, die folgenden Chefdirigenten waren Bernhard Haitink und Vladimir Ashkenazy, bis im letzten Jahr Vassily Petrenko den Stab übernahm. Über 3000 junge Musikerinnen und Musiker aus allen 28 EU-Staaten haben im EUYO gespielt, das Orchester organisiert pro Jahr zwei Arbeitsphasen mit anschließender Tournee, die Musiker können nach erfolgreicher Aufnahme bis zum Alter von 26 Jahren mitspielen. Es gibt heute kaum ein europäisches Spitzenorchester, in dem nicht Alumni des EU-Vorzeigeprojekts sitzen.

Auch in Berlin war das Orchester regelmäßig zu Gast, zuletzt 2014 zum Mauerfall-Jubiläum. Im Rahmen der Tournee zum 40-jährigen Jubiläum des Orchesters wird das Ensemble am 17. August das Young Euro Classic Festival im Berliner Konzerthaus eröffnen. Schirmherr Michael Müller, Regierender Bürgermeister, Konzertpatin Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur. Was werden diese beiden nun denken angesichts der drohenden Auflösung des Orchesters? Was ist überhaupt geschehen?

Kein Geld für Kunst an sich

Um das eigentliche Problem zu verstehen, muss man sich in die Untiefen der EU-Kulturförderung begeben: Obwohl es einen Parlamentsbeschluss zur Gründung des EUYO gab, muss das Management die Förderung immer wieder neu beantragen. Weil das Orchester garantiert, aus allen 28 EU-Staaten Spieler aufzunehmen, die sich in nationalen Vorauswahlen qualifizieren müssen, trägt jeder Staat der EU einen Anteil bei. Ein nicht geringer Prozentsatz des Budgets stammt von privaten Förderern und Stiftungen, der größte Betrag aber stammt aus dem EU-Kulturprogramm, das in längeren Perioden immer wieder neuen Richtlinien folgt. Gab es bis 2013 noch einen Fonds für institutionelle Förderung, das sogenannte „Ambassador-Programm“, hat sich das Programm mit der neuen Förderperiode von 2014 bis 2020 unter dem Titel „Creative Europe“ grundlegend geändert.

Hierbei nun fällt das EUYO aus zwei Gründen durch das Raster: erstens, weil nur Anträge förderfähig sind, die von Institutionen aus mehreren EU-Ländern im Verbund gestellt werden. Zweitens, weil die Mittel hauptsächlich für begleitende Maßnahmen wie Education und Audience Development ausgeschüttet werden, aber nicht für die Kunst an sich.

Das EUYO ist für 2016 von der Jury darum nicht berücksichtigt worden. Tibor Navracsis, der Kommissar für Kultur, bedauert das in einem kargen Statement, Martin Schulz oder Jean-Claude Juncker schweigen – obwohl sie doch „Honorary President“ und „Head of the Honorary Patrons“ des EUYO sind. Wer Marshall Marcus, den umtriebigen Manger des EUYO, kennt, kann sicher sein, dass er vor der Veröffentlichung das Gespräch mit der EU-Kommission gesucht hat.

Protest als Flashmob

In den sozialen Medien gibt es nun großen Aufruhr, dazu Solidaritätsbekundungen von Simon Rattle bis hin zum Concertgebouw Orkest. In Berlin ist ein Protest-Flashmob am 20. Mai um 12 Uhr am Haus der Europäischen Kommission Unter den Linden 78 geplant.

Aus bürokratischer Sturheit greift Europa eines seiner wenigen positiven Symbole an, völlig ohne Not. Dieses Orchesterprojekt 40 Jahre zum Symbol für Europa zu erklären und dann fallen zu lassen, ist töricht – und Wasser auf die Mühlen derer, die schon längst nicht mehr an Europa als Projekt glauben. Wenn das Kulturprogramm der EU ausschließlich auf Antrag und nach Votum einer Jury fördert, so nimmt die EU selbst sich jede Möglichkeit einer eigenen strategischen Kulturpolitik. Es braucht also dringend ein neues Kulturprogramm – und eine kurzfristige Lösung für das EUYO. Warum nicht beim Präsidenten selbst einen Etat schaffen für ein derart genuin europäisches Projekt? Hier ist nun in der Kommission selbst eine kreative Lösung gefragt.

Andreas Richter lebt als Kulturmanager und -berater in Berlin. Er war unter anderem Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchesters sowie Intendant des Mahler Chamber Orchestra.

Andreas Richter

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