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Gruß aus Taschkent : Ein Blick Blick auf die Städtepartnerschaften Berlins
Soll man sich freundschaftlich verbinden, mit Städten, die die eigenen Werte nicht teilen? Unser Autor reist nach Usbekistan und macht sich so seine Gedanken.

Stand:
Reisen, diese seltsame Sucht, sich ohne Not aus dem eigentlich doch wunderbar geordneten Leben zu Hause zu entfernen, macht eigentlich nur dann Sinn, wenn neue Fragen geöffnet werden. Am besten solche, für die es keine einfachen Antworten gibt.
Dieser Text etwa erreicht Sie von einer Reportage-Tour aus Usbekistan. Herrliche Landschaft, großartige Architektur, traumhafte Altstädte – aber sogar die oft bunt dekorierten Plattenbauten machen Spaß.
Gute Architektur und schlechte Luft
Die massive Umweltzerstörung durch den krassen Dieselauto-Verkehr (auch deutsche Firmen verdienen glänzend daran), schlecht gefilterte Kohlekraftwerke, die immense Wasserverschwendung der Landwirtschaft überall sicht- und in rasselnden Lungen spürbar. Erste Frage: Was für ein Riesenmarkt für Elektrifizierung, der bisher aber nur von China bedient wird. Wo ist Europa?
Die Leute sind oft rasend nett, und das Essen ist durchweg hervorragend – hier könnten Berliner Dönerbräter lernen, was man mit Fleisch und Gemüse am Spieß alles so anstellen kann. Wird Zeit, schließlich haben sich die beiden Hauptstädte Taschkent und Berlin schon vor 30 Jahren und sechs Monaten verschwistert. Aber auch damals hatte Usbekistan zu westlich-liberalen Freiheitsidealen ein sehr gespanntes Verhältnis. Derzeitiger Stand auf dem Index der Pressefreiheit: 137 von 180. Man war schon mal auf Platz 133.
Usbekistan und die Freiheit
Die Folgen der radikal vom Staat begrenzten Debattenfreiheit: In einer netten Museumsausstellung etwa wird zwar die Aralsee-Katastrophe, der ganze Regionen zum Opfer fallen, bis ins Kleinste genau dokumentiert. Aber wer schuldig ist, was die Ursachen seines Vertrocknens sind, wer daran verdient hat und immer noch verdient, warum so wenig dagegen getan wurde – so etwa erfahren die Schulkinder nicht, die erschrocken vor den Tafeln stehen.
Das Modell Evelyn Beatrice Hall, „Ich missbillige, was Sie sagen, werde aber bis zum Tod ihr Recht verteidigen, es zu sagen“, (inhaltlich korrekt, sonst aber fälschlich Voltaire zugeschrieben), galt in Usbekistan nie, weder zu Zeiten der russischen und dann sowjetischen Kolonialherrschaft noch seit der 1991 errungenen Unabhängigkeit. Politische Stabilität ging immer vor Freiheit.
Welche moralischen Maßstäbe legt man an Partnerstädte an?
Trotzdem hatten die Berliner Senate und Regierenden aller Couleur seit 1993 offenbar nie Probleme mit dieser Partnerschaft – genau die gleichen Politiker, die selbst nach dem ruchlosen russischen Überfall vom 24. Februar 2022 auf die Ukraine mehr als ein Jahr brauchten, um die Verschwisterung mit dem beschossenen Kiew zu begründen. Dabei kämpft die Ukraine letztlich seit 1991 eisern für westlich-liberale Freiheits- und Demokratie-Ideale.
Nun kann für eine erfolgreiche Politik bekanntlich erhebliche Biegsamkeit in Wertefragen durchaus sinnvoll sei. Zentralasien etwa sucht verzweifelt nach einem Weg zwischen russischen und chinesischen Dominanzansprüchen. Da sollte sich Europa schon aus blankem Eigeninteresse interessieren und durchaus etwa die wohlstands- oder klimapolitische Effizienz vor die hohe Moral stellen.
Aber alles ist relativ: von den 18 aktuellen Partnerschaften Berlins gelten nur vier eindeutig nicht demokratisch regierten Städten. Sie haben sich ihr Regime nicht ausgesucht, umso wichtiger sind über Jahrzehnte haltende Beziehungen und Netzwerke, für Kultur, Wirtschaft, für das voneinander lernen, und ohne Pathos – auch für den Frieden.
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