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Blick in die Ausstellung der Galerie Capitain Petzel, deren Werkkomplex „Heavy Burschi“ nur komplett verkauft wird.

© Galerie Capitain Petzel

Gut ist nicht schlecht genug: Zwei Ausstellungen feiern das Werk von Martin Kippenberger

Diesen Monat wäre der Ausnahme-Künstler 70 Jahre geworden. Die Galerie Max Hetzler und Capitain Petzel zeigen Aspekte seiner Arbeit.

Von Jens Müller

Stand:

Kein Text über Kippenberger in Berlin – keine Kippenberger-Ausstellung in Berlin ohne die Episode mit Ratten-Jenny, ihrer Bierflasche und sein von ihr damit traktiertes Gesicht. Hatte er sie zuvor geschubst? Sie Anstoß genommen an der Erhöhung der Bierpreise durch den frisch gebackenen Clubbesitzer im SO36? Für die genauen Umstände, wie die Punkerin und der notorische Schlipsträger damals, vor mehr als 40 Jahren, aneinandergerieten, kommt es dann schon darauf an, wer die Episode zum Besten gibt. Kippenberger wäre jedenfalls nicht Kippenberger gewesen, hätte er sie nicht umgehend künstlerisch verarbeitet. Verwertet. Wie man jetzt in einer Berliner Schau sehen kann.

Direkt gegenüber dem Eingang hängt da das große Bild mit dem Titel „Selbstporträt“. Darauf das versehrte, verbundene Antlitz des Künstlers, umflort von Sektgläsern und Musiknoten. Gleich daneben ein weiteres Konterfei, deutlich bescheidener dimensioniert, zeigt „Untitled (Porträt M.U.H.)„ doch nicht Kippenberger, sondern seinen Galeristen Max-Ulrich Hetzler. „Muh“ ist natürlich auch der Laut, den Kühe von sich geben, und so hat ihm der Kippy – so war er halt, der Schalk – kurzerhand einen Cowboyhut auf den Kopf gemalt. Es könnte sich um den gleichen Hut handeln, den Kippenberger selbst auf dem ein Jahr zuvor, 1981, entstandenen Bild „Ohne Titel (Lieber Maler, male mir)“ getragen hat.

Kippenberger ließ andere für sich malen

Lieber Maler, male mir: Die Praxis, seine Arbeiten – nach seiner Idee und Maßgabe – von anderen ausführen zu lassen, hat Kippenberger keineswegs erfunden, sich ihrer aber gern bedient. Unvergessen das Gedöns, das ein gewisser Götz Valien kürzlich gemacht hat, weil er für Kippenberger einst zwei Bilder der Paris Bar malte, für die er nun die Urheberschaft beansprucht. Da hat er etwas ganz grundsätzlich nicht begriffen. Auch, dass der künstlerische wie der Marktwert der Bilder mit der Urheberschaft Kippenbergers stehen und fallen. Vor allem aber hatte er „die regressive Replikations- und Verwertungsgenese eines Kippenbergers entgegen künstlerischer Frömmigkeitsversionen von Originalität, Autorschaft oder gar Souveränität“ nicht begriffen. So formuliert es der Begleittext zu einer weiteren aktuellen Kippenberger-Ausstellung in Berlin.

Zwei parallele Schauen: Verabredet war es nicht. Zufall ist es auch nicht. Beide Präsentationen haben denselben Anlass – den siebzigsten Geburtstag des 1997 im Alter von 44 Jahren Verstorbenen. Nimmt man die Ausstellung („Heavy Mädel“) am Kölner Standort der Galerie Gisela Capitain zur Berliner Schau („Heavy Burschi“) der Galerie Capitain Petzel hinzu, sind es gar drei. Gisela Capitain gründete einst mit dem Künstler in Berlin „Kippenbergers Büro“. Vor der Eröffnung ihrer eigenen Galerie hat sie für Kippenbergers langjährigen Galeristen gearbeitet: Max Hetzler. Letzterer zelebriert das Kippenberger-Jubiläum in Berlin betont anekdotisch. Davon zeugen nicht nur die beiden schon erwähnten Bilder, sondern auch zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos entweder von Wilhelm Schürmann oder Andrea Stappert: Kippenberger und sein Galerist beim Schuhmacher, wie sie sich Maßschuhe anfertigen lassen. Kippenberger und sein bester Malerfreund Albert Oehlen, wie sie synchron ihre Weingläser zum Mund führen. Beide im Dandy-Look mit Anzug und Krawatte.

Vieles in der Ausstellung ist von Sammlern und unverkäuflich

Die Fotos kann man kaufen, für Preise zwischen 6.000 und 12.000 Euro. Von den über 40 Kippenberger-Bildern (und fünf Skulpturen) aus einem Zeitraum zwischen 1982 und 1995 stehen, stehen nur vier zum Verkauf. Sie stammen aus den Beständen von Privatsammlern, über deren Namen die Galerie den Mantel des Schweigens hüllt. Indes der Künstler selbst die Hüllen fallen ließ, die Hosen zumindest. Eines der Schürmann-Fotos (von 1983) zeigt Kippenberger mit heruntergelassenen Beinkleidern auf einem Stuhl stehend, während er obenrum Sakko und Krawatte trägt. Ein Jahr später hat er, solche Einsichten in Kippenbergers „Replikations- und Verwertungsgenese“, oder sagen wir einfach: Arbeitspraxis, nach dem Foto das Bild „Nieder mit der Inflation“ gemalt.

Kippenbergers Bild „heute denken - morgen fertig“ von 1983 hängt in der Galerie Max Hetzler

© Galerie Max Hetzler

Falls er es denn selbst gemalt hat. Das weiß man bei ihm ja nicht immer so genau, wie man im Falle der Bilder in der ganz anders, nämlich als Reenactment (einer Ausstellung im Kölnischen Kunstverein 1991) angelegten Schau bei Capitain Petzel weiß, dass Kippenberger sie nicht selbst gemalt hat. Weil diese Bilder, erstens, überhaupt niemand gemalt hat. Weil es nämlich maßstabsgetreue Fotos von Bildern sind, die, zweitens, Kippenberger von seinem damaligen Assistenten Merlin Carpenter hat malen lassen. Von dem übrigens nicht bekannt ist, dass er mit der Praxis später mal ein Problem gehabt hätte. Ein Problem hatte allerdings Kippenberger mit den fertigen Bildern: „Einfach zu gut, zu gekonnt und damit zu sehr Kitsch, diese Bilder. Also habe ich beschlossen, sie doppelt zu verkitschen.“ Indem er sie abfotografiert und dann zerstört hat, aber nicht nur das: Die zerstörten Bilder hat er in einen (aus Sperrholz selbst gezimmerten) Müllcontainer gestopft und diesen dann in die Mitte der Ausstellungen gestellt.

Die Bildmotive: ein wildes Kuddelmuddel mehr oder weniger bekannter Kippenberger-Versatzstücke. Ein Bild – „Untitled (from the series Heavy Burschi)„ – basiert auf dem Foto, das 1986 bereits für das Cover der Platte „The Alma Band: Live in Rio“ verwendet worden war. Darauf Kippenberger und Oehlen in, was sonst, Anzug und Krawatte, sie haben auch musikalisch zusammen dilettiert (oder dilletiert?). Die Heavy Burschi-Version nun zeigt außer den Künstlern einen gläsernen Sarg, Bandname und Albumtitel wurden durch einen neuen Schriftzug ersetzt: „Snow White in Rio.“

Foto – Albumcover – Gemälde – Foto von Gemälde, oder eben: „Replikations- und Verwertungsgenese eines Kippenbergers“. Die Heavy Burschi-Installation wird nur als Ganzes veräußert – die Gespräche mit einem Sammler mit Privatmuseum in Europa sollen so gut wie abgeschlossen sein. Und apropos Musik: Das genaue Datum von Martin Kippenbergers Geburtstag ist der 25. Februar. Die Schau bei Capitain Petzel wird bereits seit einer Woche geschlossen sein, wenn Max Hetzler die Finissage seiner nunmehr 16. Kippenberger-Ausstellung mit einem gemeinsamen Auftritt der Freejazzer, Freigeister und Weggefährten Sven-Åke Johansson und Rüdiger Carl begehen wird. Freibier für alle? Da kommt vielleicht sogar Ratten-Jenny.

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