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Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant

© imago/UIG

Guy de Maupassants Erzählung „Der Horla“: Was nachts im Dunkeln lauert

Klassiker der Horror-Literatur: Guy de Maupassants Erzählung „Der Horla“ erscheint in einer Schmuckausgabe

Von Tobias Schwartz

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Egal, ob in Kino-Blockbustern oder Netflix-Serien, wer der Zerstreuung oder des Lustgewinns halber den Horror sucht, wird schnell fündig. Die Angst vor der Finsternis und ihren Kreaturen ist so alt wie die Freude daran, sich zu gruseln, entsprechend der künstlerisch-virtuose Umgang mit dieser Art von Nervenkitzel. In der Literatur, die dem Film oft seine Stoffe liefert, existiert das Unheimliche seit ihren frühesten Anfängen. Dämonische Gestalten treiben in Texten von jeher ihr Unwesen und sorgen für Unruhe und Irritationen.

Das Diabolische etwa ist fester Bestandteil der Dramaturgie der Bibel, Homers Helden kämpfen ebenso gegen Ungeheuer wie der Gottkönig Gilgamesch im gleichnamigen Epos und die Abenteurer aus „Tausendundeiner Nacht“. Stets lauert irgendwo das Böse, und spätestens in der Schauerliteratur des 18. Jahrhunderts und der daran anknüpfenden „Schwarzen Romantik“ des frühen 19. Jahrhunderts bilden sich klassische Genres heraus: Vampir-Stories, Geistererzählungen, Romane über Mönche auf teuflischen Abwegen und sonstige Spukgeschichten.

„Gespenster-Hoffmann“

Der italienische Literaturwissenschaftler Mario Praz schuf mit seinem Standardwerk „Liebe, Tod und Teufel“ (1963) einen Überblick, und sein deutscher Kollege Peter-André Alt spürte 2010 dem Phänomen in seiner Studie zur „Ästhetik des Bösen“ bis in die Gegenwart nach. Namentlich E.T.A. Hoffmann, gern auch „Gespenster-Hoffmann“ genannt, setzte Maßstäbe. Sein Einfluss auf die englische, russische und nicht zuletzt französische Literatur ist kaum zu überschätzen.

Einer der brillantesten Schüler Hoffmanns ist der Franzose Guy de Maupassant. Mit seiner in Tagebuchform verfassten, jetzt in einer von Anna und Elena Balbusso illustrierten Schmuckausgabe neu erschienenen Erzählung „Der Horla“ erweist sich der Schöpfer des epochalen Romans „Bel Ami“ und so berühmter Novellen wie „Fettklößchen“ oder „Das Haus Tellier“ als wahrer Meister auch des schaurigen Genres. Er kann es selbst mit Edgar Allan Poe aufnehmen.

Maupassant bringt darin, wenn gleich eher von Außen beschreibend als von Innen analysierend, die Psychologisierung des Unheimlichen zur Vollendung, um ihm gleichzeitig mit größtmöglicher Rationalität eine reale Plausibilität gegenüberzustellen.

Zunächst ist der Erzähler, ein typischer Melancholiker, krank, er klagt über Unwohlsein, hat „ein bisschen Fieber“ und fühlt sich traurig. „Hat ein erkältender Schauer, der mich überrieselte, meine Nerven erschüttert und meine Seele verdüstert“, heißt es da geradezu prototypisch. Es scheint, als wolle Maupassant, der in Wahrheit Hoffmann folgt, Goethe recht geben, der alles Romantische, zumal Schauerromantische dem Bereich des Kranken zuordnet.

Tatsächlich ist auf jeder Seite der Wahnsinn spürbar, die Rede ist von „Alpdrücken“, „überhitzter Fantasie“ und „Halluzinationen“, wenn sich der Erzähler von einem unsichtbaren Wesen bedroht fühlt, das ihm nachts wie ein Vampir die Lebensgeister aussaugt. Durch Experimente und Beobachtungen aber vergewissert er sich der leibhaftigen Präsenz des „Horla“, der, wie er glaubt, körperlicher Natur sein muss, da er Dinge zu bewegen und in einem Glas am Bett stehendes Wasser oder Milch zu trinken vermag.

Und er reflektiert die Möglichkeit, wahnsinnig zu sein. Tatsächlich wusste Maupassant, der 1850 auf einem Schloss in der Normandie geboren wurde, sehr genau, wovon er da schrieb. Im Alter von 27 Jahren infizierte er sich mit Syphilis, litt unter Angstzuständen, Migräne, schwindender Sehkraft und Halluzinationen und unternahm einen Selbstmordversuch. Insofern liegt es nahe, im Erzähler ein Alter Ego zu sehen. Sein Lebensende verbrachte er in einer psychiatrischen Klinik im heute von Paris eingemeindeten Passy.

Seit es sie gibt, steht die Horrorliteratur unter Trivialitätsverdacht. Es fügt sich ins Bild, dass Maupassant, einer der meistverfilmten Autoren überhaupt – erst im Juni dieses Jahres erfolgte auf Arte die Ausstrahlung von Marion Desseigne Ravels TV-Adaption „Le Horla“/„Das unsichtbare Wesen“ – bei uns lange als „Unterhaltungsschriftsteller“ wahrgenommen wurde. Falscher können (Vor-)Urteile nicht ausfallen.

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